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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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Zukunft noch schlimmer war als die Gegenwart? Oder wenn es gar keine gab?
    Ich verbrachte diese gesamte Augustnacht auf dem geradlehnigen Stuhl neben dem Sofa. Ich wischte Mutters Stirn mit einem feuchten Tuch ab und schaute aus dem Fenster in die Sommernacht, den dunklen Himmel und die noch dunkleren Bäume, die mir so unerreichbar erschienen wie Ausstellungsstücke in einem Museum, und ich wusste, dass auch ich indiesem Zimmer sterben könnte. Es war möglich, dass mein Leben diesen Verlauf nahm.
    Stunden später, kurz vor Beginn der Morgendämmerung, starb meine Mutter ohne ein einziges Seufzen, Keuchen oder Ächzen. So sehr sich ihr Tod auch von dem meines Vaters unterschied, mit dem Knall des Revolvers, der die Türen erzittern ließ, war er doch nicht weniger endgültig. Während unten im Haus alle schliefen, schaute ich in dieses Gesicht, das ich manchmal gehasst hatte und das mir an anderen Tagen leid tat. Ihre Hände lagen dicht an beiden Seiten ihres dünnen Körpers, und ich strich mit den Fingerspitzen darüber, während ich eine schreckliche, widersprüchliche Liebe zu ihr empfand. Dann ging ich hinunter, um Fonnie und Roland zu wecken und den Arzt zu rufen. Ich machte Frühstück und nahm ein Bad, danach setzte ich mich mit Fonnie ins Wohnzimmer, um die Beerdigung zu besprechen. Mutters Leiche lag oben, und ich fühlte immer noch ihre Nähe und den Druck, den sie auf mich ausübte. Es schien ihr immer gefallen zu haben, dass mein Leben so still verlaufen ist; als wäre aus mir genau die Person geworden, die sie immer in mir vermutet hatte, eine Person, die selbst kaum etwas im Leben erreichen konnte. Dieser machtvolle Gedanke zerrte schon lange an mir, und ich wusste, dass ich mich ihm und damit der Leere mit Leichtigkeit hingeben konnte. Ich konnte mich aber auch mit aller Kraft dagegenstemmen.

Fünf
    »Ist alles in Ordnung, Miss?«, fragte der Taxifahrer.
    »Das muss es wohl«, antwortete ich und öffnete die Tür.
    Ich war wieder in St. Louis, nachdem ich einen langen Tag im Zug verbracht hatte; durch das Gefühl, in Chicago irgendetwas falsch gemacht zu haben, war er mir noch länger vorgekommen. Nun war ich also zurück im Haus von Fonnie und Roland in der Cates Avenue. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Mann zu bezahlen und aus dem Wagen zu steigen.
    Die Luft draußen war kühl und frisch. Der Fahrer folgte mir und brachte meine Koffer bis zur Haustür. Unsere Schritte hallten hohl auf dem Pflaster wider. Im Haus ließ ich mein Gepäck am Fuß der Treppe stehen und ging hinauf in meine Wohnung, die sich kalt und unbewohnt anfühlte. Obwohl es spät und ich müde war, zündete ich die Lampen an und machte ein Feuer, um mich daran zu wärmen. Ich setzte mich auf das rosa Sofa, umfasste meine Schultern mit den Armen und fragte mich, ob meine Mutter immer noch in diesem Raum war, vielleicht in eine Decke gewickelt, und mich mitleidig ansah:
Arme Hadley. Armes Hühnchen.
    Am nächsten Morgen schlief ich länger als gewöhnlich, und als ich nach unten kam, wartete Fonnie im Esszimmer auf mich. »Und? Ich will alles hören. Was hast du gemacht? Was für Leute hast du getroffen?«
    Ich erzählte ihr alles über die Partys und Spiele und die interessanten Menschen, die in Kenleys Wohnung ein und aus gingen, doch Ernest erwähnte ich nicht. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich wusste schließlich nicht, wie wir zueinander standen, selbst als Freunde.
    Während unseres Gesprächs betrat Roland den Raum in einer Wolke aus Seife und Kiefernhaarwasser und im Begriff, seine Manschetten zuzuknöpfen. Er setzte sich, und Fonnie rückte ihren Stuhl ganz leicht zur Seite, so dass sie ihm nicht beim Essen zusehen musste. So standen die Dinge zu dieser Zeit zwischen den beiden. Ihre Ehe war ein Desaster, war es schon immer gewesen, und ich bedauerte die beiden sehr.
    »Na, hat Chi-Town all deinen Erwartungen entsprochen?«, fragte Roland.
    Ich nickte und strich Marmelade auf meinen Toast.
    »Und hast du Dutzende neuer Verehrer aufgetan?«
    Fonnie schnaubte kaum hörbar durch die Nase, sagte jedoch nichts.
    »Nicht gerade Dutzende«, erwiderte ich.
    »Eine Eroberung musst du aber mindestens gemacht haben. Dieser Brief hier ist gerade für dich angekommen.« Er zog ein zerknittertes Artefakt aus seiner Jackentasche. »Eilzustellung«, betonte er. »Muss ja wichtig sein.« Er grinste und übergab mir den Brief.
    »Was ist das?«, wollte Fonnie wissen.
    »Eilzustellung«, wiederholte ich wie in Trance. Auf dem

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