Madame Hemingway - Roman
Umschlag war Ernests Name hingekritzelt, aber doch deutlich genug zu lesen. Er musste den Brief direkt vom Bahnhof aus zur Post gebracht und extra zehn Cent mehr bezahlt haben, um sicherzugehen, dass er mich so schnell wie möglich erreichte.
Ich werde dir schreiben. Ich werde dich schreiben.
Ich befühlte den Umschlag und traute mich kaum, ihn zu öffnen.
»Wie heißt denn dein Bursche?«, erkundigte sich Roland.
»Ich würde nicht sagen, dass er mein Bursche ist, aber er heißt Ernest Hemingway.«
»Hemingway?«, wiederholte Fonnie. »Was ist das denn für ein Name?«
»Ich habe keine Ahnung«, gab ich zurück und verließ mit dem Brief das Zimmer, um ihn zu öffnen. Er war so zerdrückt und zerknickt, als hätte er tagelang in seiner Hosentasche gesteckt, und das allein schon gefiel mir, egal, was darin stehen mochte. Ich suchte mir eine ruhige Ecke neben meinem Klavier im Wohnzimmer und fand heraus, dass die Seiten im Umschlag ebenfalls zerknittert und mit dunkler Tinte beschrieben waren.
Liebe Hasovich
, begann er.
Du bist im Zug, und ich bin hier, und alles ist leerer, seit du weg bist. Sag mir, gibt es dich wirklich?
Ich ließ den Brief sinken, da ich beinahe überwältigt wurde von dem Gefühl, dass er meine Gedanken lesen konnte.
Gibt es dich wirklich?
Die gleiche Frage könnte ich ihm stellen und hätte meiner Ansicht nach sogar größere Veranlassung dazu, insbesondere nach Kates Warnung. Ich war schließlich so solide wie der Boden unter seinen Füßen, wahrscheinlich sogar zu solide. Aber was war mit ihm? Seine Aufmerksamkeiten mir gegenüber hatten während meines gesamten Aufenthalts nicht nachgelassen, aber das hieß noch nicht, dass er verlässlich war, sondern nur, dass er mich zur Zeit als erstrebenswert ansah. In Wirklichkeit wusste ich nicht, was ich über ihn denken sollte, und so las ich einfach weiter und verschlang den Rest des Briefes, in dem er erzählte, was er tat und tun wollte; er berichtete von seiner Arbeit und von seinen Gedanken. Er schrieb, dass er Aussicht auf einen Job bei einer monatlich erscheinenden Zeitschrift namens
Co-operative Commonwealth
hatte, wenn er bereit war, als Autor, Reporter und Herausgeber zugleich zu arbeiten.
Die Bedingungen sind nicht gerade optimal, aber ich werde das Angebot wahrscheinlich annehmen
, erklärte er. Auch wenn das nervöse Gerede über ihn in meinem Kopf nicht verstummte, musste ich mir doch eingestehen, dass ich seine Stimme und ihre Resonanz mochte und dass es mir gefiel, dass auch seine geschriebenen Wortenach dem Ernest klangen, der unter den verschiedensten Vorwänden seinen Kopf in mein Zimmer in Chicago gesteckt hatte. Genau das Gleiche tat nun sein Brief, er brachte Ernest ins Wohnzimmer, das einen Augenblick zuvor noch dunkel und stickig gewesen war.
»Und?«, fragte Fonnie, die mit einem Rascheln ihres dunklen Wollrocks eingetreten war. »Was hat er zu sagen?«
»Nichts Besonderes«, antwortete ich, obwohl das natürlich nicht stimmte. Alles an Ernest Hemingway war besonders. »Nun, es ist immer schön, neue Freundschaften zu schließen. Ich freue mich, dass du eine nette Ablenkung gefunden hast.« Sie setzte sich und nahm ihre Spitzenarbeit auf.
»Wirklich?«
»Natürlich. Ich möchte, dass du glücklich bist.«
Das stimmte wahrscheinlich, jedoch nur, wenn
glücklich
bedeutete, dass ich für den Rest meines Lebens als einsame unverheiratete Tante im ersten Stock ihres Hauses eingesperrt blieb.
»Danke, Fonnie«, sagte ich und entschuldigte mich dann, um in mein Zimmer zu gehen und meine Antwort zu verfassen. Ich wollte nicht zu enthusiastisch sein. Ich wollte diesem Brief nicht mehr Bedeutung beimessen, als er besaß, doch ich stellte fest, dass es mir Freude bereitete, ihm zu schreiben. Ich schrieb meine Antwort über den ganzen Tag verteilt und erwähnte Einzelheiten, die gerade passiert waren. Ich wollte, dass er sich ein Bild davon machen konnte, wie ich von Raum zu Raum ging, am Klavier übte, mit meiner Freundin Alice Hunt eine perfekte Tasse Ingwertee trank, unserem Gärtner dabei zusah, wie er die Rosenbüsche beschnitt und sie in Vorbereitung auf den Winter in Sackleinen wickelte.
Ich vermisse den See,
schrieb ich.
Und noch so viele andere Dinge. Willst Du Dich mit mir auf eine Zigarette in der Küche treffen?
Meine Mutter hatte einen Schnappschuss von mir im Badeanzug aufbewahrt, der an einem Tag am Meramec River mitAlice aufgenommen worden war und auf dem wir beide glücklich und überströmt vom Sonnenlicht
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