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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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in die Kamera blicken. Zugegebenermaßen trat diese Version von Hadley dieser Tage kaum mehr zum Vorschein, aber ich glaubte, Ernest würden ihr aufgeschlossener Gesichtsausdruck und ihr unverzagtes Lächeln gefallen. Ich steckte das Bild zusammen mit meinem Brief in einen Umschlag und lief, bevor ich es mir noch einmal anders überlegen konnte, rasch zum Briefkasten an der Straßenecke. Draußen war es dunkel, und ich betrachtete die erleuchteten Häuser auf meinem Weg. Alles schien einen leichten Schimmer zu haben, und für einen Moment stellte ich mir vor, wie das Licht über die stoppeligen Maisfelder und leeren Scheunen bis nach Chicago raste. Beim Briefkasten angekommen, hielt ich meinen Brief fest umklammert, küsste ihn aus einem Impuls heraus, öffnete dann die Klappe und ließ ihn fallen.

Sechs
    Ich habe so viele Pläne, was das Schreiben angeht, ich will so vieles sehen und fühlen und tun. Weißt du noch, als du Klavier gespielt hast mit deinem herrlich glänzenden Haar und dann bist du aufgestanden und zu mir aufs Sofa gekommen und hast gefragt: »Nimmst du mich mit, Begonia?«
    Nimmst du mich mit, Hash?
    Kommst du nun endlich her und gibst mir was von dem todsicheren Zeug, das du bist?
    In seinen zerknautschten Briefen steckte so viel Schönheit, und manchmal kamen gleich zwei oder drei am Tag bei mir an. Ich versuchte zunächst, etwas zurückhaltender zu sein, und gelobte, nur einen Brief pro Woche abzuschicken, doch hielt ich dieses Vorhaben nicht lange durch. Bald hatte ich das Gefühl, in der Klemme zu sitzen. Die Briefe flogen munter zwischen uns hin und her, doch was hatten sie zu bedeuten? Oftmals vernahm ich Kates Stimme in meinem Kopf –
er mag Frauen,
alle
Frauen, wie es scheint
–, und ich wusste nicht, ob ich ihr von unserer sich so rasch entwickelnden Freundschaft erzählen sollte oder nicht. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sie nicht verletzt und wütend sein würde, schließlich missachtete ich ganz offenkundig ihren Rat. Wenn ich ihr nun aber alles beichtete, würde sie mir vielleicht wieder etwas raten, und dann müsste ich ihr zuhören und vielleicht sogar danach handeln.
    Ich war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, zu erfahren, ob ich Ernest vertrauen konnte, und dem Wunsch, weiter blind zu sein, damit die Dinge genauso bleiben konnten, wie sie waren. Seine Worte bedeuteten mir bereits so viel– viel zu viel. Jeder seiner Briefe war wie ein Stärkungsmittel für mich, und ihm zu antworten wirkte sich ebenso aus. Ehe ich es mich versah, konnte ich den Briefträger auf seinem Fahrrad schon hören, wenn er noch ein paar Häuserblocks entfernt war. Ich sagte mir, dass Kate sicher nicht
alles
über Ernest wusste. Wer wusste denn schon alles über irgendjemanden? In seinen Briefen kamen eine Zartheit, eine Wärme und noch andere Eigenschaften zum Vorschein, die sie vielleicht in all den Sommern in Michigan nie an ihm erlebt hatte. Zumindest war das möglich. Und es musste einfach so sein, da das Glück, das aus Ernests Interesse an mir erwuchs, sich bald auf andere Bereiche meines Lebens ausdehnte. Zu Hause war ich plötzlich beschäftigter und zufriedener als je zuvor. Zwei meiner Freundinnen, Bertha Doan und Ruth Bradfield, waren zu mir in die Wohnung im ersten Stock gezogen, und zum ersten Mal seit beinahe zehn Jahren fühlte ich mich nicht mehr allein zu Hause. Außerdem interessierten sich einige junge Männer für mich, die zwar nichts Außergewöhnliches, aber doch eine nette Ablenkung waren. Ich ließ mich von ihnen zum Tanzen und ins Theater ausführen, und ein paar von ihnen durften mich sogar zum Abschied küssen. Keiner von ihnen hatte Ernests großen eckigen Schädel oder seine breiten Füße, und keiner fragte mich seine wunderbaren Fragen oder weckte in mir den Wunsch zu sagen:
Nimmst du mich mit, Begonia?
    Dennoch gab ich es nicht auf und ging mit nahezu jedem aus, der mich fragte, da Ernest, so lieb er mir auch geworden war, nur theoretisch existierte, als wunderbare Hypothese, und außerdem Hunderte Kilometer entfernt war. In St. Louis, wo ich nun einmal mein tatsächliches Leben leben musste, war zum Beispiel Dick Pierce, der Bruder einer guten Freundin. Ich fühlte mich in seiner Gesellschaft wohl und wusste, wenn ich ihn nur ein wenig ermutigte, würde er sich in mich verlieben und mir womöglich gar einen Antrag machen, doch ichempfand so gut wie gar nichts für ihn. Außerdem gab es noch Pere Rowland, einen angenehm zerzausten Jungen, der viel über

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