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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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unter seinen Zehen an.
    War es wirklich erst letzten Sommer gewesen, dass Kate und Edgar auf dem Steg saßen und geklaute Kirschen aßen, deren fleischige Kerne sie nach ihm spuckten, während er vor ihnen im Wasser auf und ab wippte? Kate. Die gute alte Kate mit ihren grünen Katzenaugen und den geschmeidigen langen Beinen, die ihr bis zur Brust reichten. Eines Abends hatte sie zu ihm gesagt: »Du bist mein Arzt, untersuch mich!« Und das hatte er getan, hatte jede einzelne ihrer Rippen mit der Hand gezählt und war den Erhebungen ihres Körpers von der Wirbelsäule aus rundherum gefolgt. Sie zuckte bei seinen Berührungen nicht zusammen und lachte auch nicht. Als er bei ihrer Brust angelangt war, zog sie das Oberteil ihres Badeanzugs herunter und schaute ihm
dabei direkt ins Gesicht. Er hielt inne und versuchte weiterzuatmen.
    »Wemedge, was denkst du gerade?«
    »Nichts«, sagte er, bemüht, seine Stimme ruhig zu halten. Ihre Brüste hatten perfekte Nippel, und er wollte sie zuerst mit der Hand berühren und dann mit dem Mund. Er wollte sich in Kate fallen lassen, so wie er sich in den See fallen ließ, doch da kamen ihnen auf dem sandigen Pfad Stimmen entgegen. Kate zog ihren Badeanzug wieder hoch.
    Er stand hastig auf und sprang ins Wasser, das auf seiner Haut zu brennen schien.
    Nun befand sich Kate gemeinsam mit Hadley nur wenige Kilometer entfernt im Cottage ihrer Tante Charles. Die beiden schliefen im selben Zimmer in schmalen, muffig riechenden Betten. Das Zimmer und das ganze Haus waren ihm wohlbekannt, doch es fiel ihm schwer, sich Hadley dort oder an einem der anderen Orte, die ihm so vertraut waren, vorzustellen. Als kleiner Junge hatte er auf dem mit Grasflecken übersäten Hügel vor dem Windemere-Cottage laufen gelernt. Und das war nur der Anfang gewesen. Er hatte dort auch alles andere gelernt, was er brauchte: wie man einen Fisch fing, wog und ausnahm, wie man ein lebendes oder totes Tier festhielt, wie man Feuer machte und sich lautlos durchs Unterholz bewegte. Wie man richtig zuhörte. Wie man alles Wichtige behielt, damit es einem erhalten blieb und man es anwenden konnte, wenn es nötig war.
    Dieser Ort hatte ihn niemals im Stich gelassen, doch an diesem Abend hatte er das Gefühl, nicht ganz da zu sein. Am nächsten Nachmittag um vier Uhr würden er und Hadley in der Methodistenkirche in der Lake Street heiraten. Bei diesem Gedanken überkam ihn eine Woge der Panik, als wäre er ein Fisch, der in einem gespannten Netz zappelte, instinktiv dagegen ankämpfte. Daran war nicht Hadley Schuld, die Heirat war ganz allein seine Idee gewesen. Doch er hatte ihr nicht erzählt,
wie sehr er sich davor fürchtete. Dennoch hatte er das Gefühl, es durchziehen zu müssen, so wie er es stets mit allem tat, das ihm schreckliche Angst einjagte. Außerdem hatte er zwar Angst vor der Ehe, aber er fürchtete sich auch vor dem Alleinsein.
    Als er am Abend vor seiner Hochzeit vom kühlen Grund des Sees auftauchte, fiel es ihm schwer, sich nicht innerlich von Hadley abzuwenden oder ganz aus dem Konzept zu kommen. Er liebte sie. Sie jagte ihm keine Angst ein wie Kate oder forderte ihn mit grünen Augen im Dunkeln heraus, sie zu berühren: »Mach schon, Wemedge, wovor fürchtest du dich?« Mit Hadley fühlte sich fast immer alles richtig an. Sie war gut und stark und echt, und er konnte sich auf sie verlassen. Sie beide konnten es genauso gut schaffen wie alle anderen. Doch was, wenn die Ehe keine Probleme lösen und keinen von ihnen auch nur ansatzweise retten konnte? Was dann?
    Zurück an der Oberfläche, konnte er Dutch und Luman wieder hören, die sich über dummes Zeug unterhielten, von dem er kein Wort verstand. Das Wasser war glatt und kühl auf seiner Haut, hielt ihn fest und ließ ihn gleichzeitig los. Er schaute in den schwarzen Wirbel des Himmels auf, atmete einmal tief ein und schwamm dann mit kraftvollen Zügen zum Steg.

Zehn
    Der Morgen des 3. September 1921 war klar, mild und windstill und versprach einen perfekten Tag. Die Blätter an den Bäumen begannen gerade, sich zu verfärben, doch im See hatte das Wasser immer noch Badewannentemperatur. Ernest war an diesem Morgen nach drei Tagen Angeln mit seinen Junggesellenfreunden in hitziger Verfassung in Horton Bay angekommen. Seine Nase war von der Sonne verbrannt, und um seine Augen zeigten Fältchen seine Erschöpfung oder seine Angst oder auch beides an.
    »Bist du bereit dafür?«, war das Erste, was ich ihn fragte.
    »Und wie«, gab er zurück. Er

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