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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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verstehen, weshalb Ernest sich gegen sie auflehnte. Genau wie meine eigene Mutter übertrumpfte sie alle um sie herum in Größe und Lautstärke. Sie beeinflusste die Anziehungskräfte eines Raumes, und nichts geschah ohne ihr Zutun.
    Im Empfangszimmer gab es delikate Sandwiches auf noch delikaterem Porzellan und dazu rosafarbenen Sekt. Ernests ältere Schwester Marcelline saß neben mir auf dem Sofa, und obwohl sie wie ein sehr nettes Mädchen wirkte, brachte es mich ein wenig durcheinander, wie sehr sie ihrem Bruder glich. Auch Ursula sah ihm ähnlich, ihr Lächeln glich seinem bis in alle Einzelheiten, und sie besaß auch sein Grübchen. Sunny war sechzehn und hübsch geraten in ihrem hellgelben Chiffonkleid. Der kleine Leicester war erst sechs und lief Ernest wie ein Welpe hinterher, bis dieser sich zu einer Runde Schattenboxenim Esszimmer überreden ließ. Währenddessen hatte Grace mich im Empfangszimmer festgenagelt und sprach gerade über die Vorzüge von europäischer Spitze. Dr. Hemingway ging derweil mit einem Tablett voller Käse und Roter Bete herum, die aus seinem Garten am Walloon-See stammte und die er selbst eingelegt hatte.
    Nach dem Dinner bat Grace mich, sie am Klavier zu begleiten, während sie eine Arie sang. Ernest war sichtlich beschämt. Noch schlimmer wurde es, als Grace darauf bestand, mir ein Foto aus einem offensichtlich heißgeliebten Album zu zeigen, auf dem Marcelline und Ernest beide die gleichen rosafarbenen Baumwollkleidchen zu breitkrempigen, mit Blumen besetzten Strohhüten trugen.
    »Mutter, Hadley will nichts von diesem Zeug sehen«, rief Ernest von der anderen Seite des Raumes.
    »Selbstverständlich will sie das.« Grace tätschelte meine Hand. »Nicht wahr, Liebes?« Sie strich besitzergreifend über das Bild. »War er nicht ein wunderschönes Baby? Wahrscheinlich war es albern von mir, ihn wie ein Mädchen zu kleiden, aber ich bin einfach einer Laune nachgegangen. Es hat ja schließlich auch niemandem geschadet.«
    Ernest rollte mit den Augen. »Sicher, Mutter. Nichts hat je irgendjemandem geschadet.«
    Sie schenkte ihm keine Beachtung. »Weißt du, er hat schon immer gern Geschichten erzählt. Über sein Schaukelpferd Prince und seine Kinderfrau Lillie Bear. Und er war auch von Anfang an ein schlimmer Bengel. Wenn ihm etwas nicht gefiel, dann haute er sofort mit voller Wucht zu und kam dann später an und wollte geküsst werden.«
    »Mach das bloß nicht mit Hadley«, warnte Marcelline Ernest mit hochgezogener Augenbraue.
    »Vielleicht gefällt es ihr ja«, bemerkte Ursula mit einem aufblitzenden Lächeln.
    »Ursula!«, wies Dr. Hemingway sie zurecht.
    »Mutter, stell das Buch weg«, verlangte Ernest.
    »Ach, bah!«, machte Grace und blätterte die Seite um. »Hier ist eins vom Windemere-Cottage. Der schöne Walloon-See.« Und so fuhr sie fort zu schwärmen.
    Der Abend schien kein Ende zu nehmen. Es gab Kaffee und winzige Schlückchen Brandy zu köstlichem Kuchen und dann noch mehr Kaffee. Als wir endlich gehen durften, rief Grace uns hinterher, dass wir zum Sonntagsdinner zu ihnen kommen sollten.
    »Das hättest du wohl gern«, murmelte Ernest vor sich hin, als er mich den Weg hinunterführte.
    Sobald wir wieder heil im Auto saßen und zurück zu Kenleys Wohnung aufbrachen, sagte ich: »Sie waren wahnsinnig höflich mir gegenüber, aber ich kann verstehen, weshalb du sie auf Distanz hältst.«
    »Für sie bin ich immer noch ein Kind, selbst für meinen Vater, und wenn ich mich dagegen auflehne, bin ich egoistisch oder rücksichtslos oder ein Dummkopf, und sie können mir nicht vertrauen.«
    »Bei mir war es fast genauso, als meine Mutter noch am Leben war. Unsere Mütter sind sich wirklich ähnlich. Denkst du, dass wir uns deshalb zueinander hingezogen fühlen?«
    »Lieber Gott, ich hoffe nicht«, erwiderte er.
     
    Seit unserer Verlobung galten für unsere Wohnsituation bei Kenley andere Regeln. Ich durfte nach wie vor in meinem gewohnten Zimmer bleiben, doch Ernest wurde gebeten, sich für die Dauer meines Aufenthalts bei anderen Freunden einzuquartieren.
    »Keine Ahnung, warum Kenley auf einmal so kleinkariert ist«, meinte Ernest, als er mir die Neuigkeiten überbrachte. »Er hat ja nun auch nicht gerade eine blütenreine Weste.«
    »Er schützt damit mehr meinen Ruf als seinen eigenen. Im Grunde ist das doch eine sehr noble Geste von ihm«, erwiderte ich.
    »Ein Ärgernis ist es. Ich will dich jeden Morgen als erstes sehen, sobald du deine Augen aufmachst. Ist das

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