Madame Hemingway - Roman
und nach zu vielen Gruppenfotos, auf denen alle in die Sonne blinzelten, bot Horney uns schließlich an, uns zum nahegelegenen Walloon-See zu fahren, wo wir in Windemere, dem Sommerhäuschen der Hemingways, unsere Flitterwochen verbringen wollten. Es warGrace und Dr. Hemingways Hochzeitsgeschenk gewesen, uns dort zwei Wochen lang zu beherbergen. Als wir ins Ruderboot stiegen und unsere Fahrt über den See antraten, dämmerte es bereits. Unser Gepäck stieß uns bei jeder Bewegung gegen die Knie und wir wurden von leichter Aufregung ergriffen, nachdem das Geschehen des Tages nun hinter uns lag.
»Bist du glücklich?«, fragte er sanft.
»Das weißt du doch. Musst du da noch fragen?«
»Ich frage gern«, erwiderte er. »Ich will die Antwort hören, selbst wenn ich sie schon kenne.«
»Vielleicht auch gerade deshalb«, mutmaßte ich. »Bist du denn glücklich?«
»Musst du da noch fragen?«
Wir lachten ein wenig übereinander. Die Luft war feucht und still und voller Nachtvögel und Fledermäuse. Als wir das Boot in der seichten Bucht vor Windemere an Land zogen, war es bereits stockfinster. Ernest half mir, ans sandige Ufer zu klettern, dann liefen wir engumschlungen den Hügel hinauf. Wir öffneten die Tür, zündeten die Lampen an und sahen uns im Cottage um. Ernests Mutter hatte es sich nicht nehmen lassen, alles gründlich zu bohnern, doch wenn die Räume auch sauber waren, so waren sie trotzdem kalt. Ernest öffnete eine Flasche Wein, die Grace für uns kühl gestellt hatte, und wir machten im Wohnzimmer Feuer und holten Matratzen, um uns davor ein Nest zu bauen.
»Fonnie war ja heute besonders gut in Form«, bemerkte er nach einer Weile.
»Die arme Fonnie«, erwiderte ich. »Ihre eigene Ehe ist eine einzige Katastrophe. Kein Wunder, dass sie uns gegenüber mit Gefühlen geizt.«
»Du bist schon eine Gute«, erklärte er und strich mir übers Haar. Ich musste wieder an unser nachmittägliches Schwimmen denken.
»Kate hat sich tapfer gehalten, findest du nicht auch?«
»Ja, das hat sie, aber ich bin froh, dass das nun alles hinter uns liegt.« Er stand auf und durchquerte das Zimmer, um das Licht anzuzünden. »Ich hätte das vielleicht vorher erwähnen sollen, aber ich schlafe immer bei Licht. Ist das in Ordnung für dich?«
»Ich denke schon. Was passiert denn, wenn du es auslässt?«
»Das willst du nicht wissen.« Er kletterte zurück in unser Nest und drückte mich fest an sich. »Nachdem ich angeschossen wurde und als mein Kopf noch in ziemlich schlechter Verfassung war, erklärte mir ein sehr weiser italienischer Offizier, dass das Einzige, was gegen diese Art von Angst helfe, die Ehe sei.«
»Damit deine Frau sich um dich kümmert? Das ist eine interessante Weise, die Ehe zu betrachten.«
»Ich habe es eher so verstanden, dass ich mir, wenn ich mich um sie – also dich – kümmern kann, weniger Sorgen um mich selbst machen würde. Aber vielleicht funktioniert es in beide Richtungen.«
»Darauf baue ich«, gab ich zurück.
Elf
Drei Reisewecker
Ticken
Auf dem Kaminsims
Komma
Aber der junge Mann kommt um vor Hunger
E. H. 1921
»Verhungern müssen wir ja nun kaum«, sagte ich zu Ernest, als er mir sein neuestes Gedicht zeigte.
»Das vielleicht nicht, aber als reich kann man uns auch nicht gerade bezeichnen«, entgegnete er.
Unsere erste gemeinsame Wohnung war ein enges, schmuddeliges Apartment im zweiten Stock, ohne Fahrstuhl, in der North Dearborn Street, einer zwielichtigen Gegend in Chicagos North Side. Ich fand es dort schrecklich, aber etwas anderes konnten wir uns nicht leisten. Wir lebten von etwa tausend Dollar im Jahr, die mein Großvater in einem Treuhandfonds für mich angelegt hatte. Aus dem Nachlass meiner Mutter würde noch etwas Geld kommen, das aber derzeit von verschiedenen Anwälten zurückgehalten wurde. Ernest hatte beim
Co-operative Commonwealth
fast fünfzig Dollar pro Woche verdient, doch er hatte kurz nach unseren Flitterwochen gekündigt, als Gerüchte aufkamen, die Zeitung sei in krumme Finanzgeschäfte verwickelt und werde bald bankrott gehen. Ernest wollte in keine schmutzigen Geschäfte hineingezogen werden, was ich verstehen konnte, da er ja schließlich ein großer Schriftsteller werden wollte. Allerdings schien unsere Italienreise derweil in unerreichbare Ferne zu rücken.
Die erbärmlichen Zustände, in denen wir lebten, machten Ernest nicht so viel aus wie mir, da er den ganzen Tag unterwegs war und in Restaurants und Cafés schrieb. Ich saß
Weitere Kostenlose Bücher