Madame Hemingway - Roman
war ich plötzlich eine Frau.
Auf dem Dach fielen all die Schleier von mir ab, und als kein einziger durchsichtiger Fetzen Phantasie mehr übrig war, überraschte mich vor allem mein eigenes Verlangen, wie bereit ich war, ihn zu empfangen, und diese absolute Gegenwart von Haut und Hitze. Ich wollte ihn, und gar nichts konnte daran etwas ändern – nicht das unbeholfene Zusammenstoßen unserer Knie und Ellbogen beim Versuch, uns näherzukommen, und nicht der stechende, aufschreckende Schmerz, als er sich in mich hineinbewegte. Als sein Gewicht völlig auf mir lasteteund ich durch die Decken hindurch jede Erhebung und Kontur des Daches unter meinen Schultern und Hüften spüren konnte, erlebte ich Augenblicke eines puren, erdrückenden Glücks, die ich nie wieder vergessen würde. Es war, als pressten wir uns so fest aneinander, bis seine Knochen durch meine drangen und wir für kurze Zeit zu ein und derselben Person wurden.
Hinterher lagen wir rücklings auf den Decken und schauten in die Sterne, die leuchtend hell den Himmel übersäten.
»Ich fühle mich wie dein Haustier«, sagte er mit sanfter, warmer Stimme. »Und du bist meins, meine kleine, perfekte Katze.«
»Hast du dir so etwas je vorstellen können? Was da zwischen uns passiert?«
»Wenn du bei mir bist, bin ich zu allem fähig«, erwiderte er. »Ich denke, ich kann nun sogar ein Buch schreiben. Das möchte ich auf jeden Fall, aber was, wenn es dumm und nutzlos ist?«
»Natürlich kannst du es schreiben, und es wird ganz wunderbar sein. Da bin ich mir sicher. Jung und frisch und stark wird es sein, genau wie du. Es wird du sein.«
»Meine Figuren sollen so sein wie wir, Menschen, die versuchen, einfach zu leben und zu sagen, was sie wirklich denken.«
»Wir sagen, was wir denken, aber es ist nicht leicht, oder? Wirklich ehrlich zu sein ist vielleicht das Schwierigste überhaupt.«
»Kenley meint, wir überstürzen die Dinge. Er versteht nicht, warum ich heiraten will, wo das Junggesellenleben doch so gut zu mir passt.«
»Er kann doch denken, was er will.«
»Ja, aber er ist nicht der Einzige. Horney macht sich Sorgen, dass ich meine Karriere in den Sand setze. Jim Gamble denkt, dass ich Italien vergesse, sobald wir verheiratet sind. Und Kate spricht mit keinem von uns beiden.«
»Bitte, lass uns nicht über sie reden. Nicht jetzt.«
»In Ordnung«, sagte er. »Ich meine ja nur, dass anscheinend niemand versteht, dass ich das hier
brauche
. Ich brauche dich.« Er setzte sich auf und schaute mich so lange an, bis ich das Gefühl hatte, ich müsste mich unter seinem Blick auflösen. »Ich hoffe, wir werden das große Glück haben, gemeinsam alt zu werden. Manchmal sehe ich diese Paare auf der Straße, die schon so lange verheiratet sind, dass man sie nicht mehr auseinanderhalten kann. Wie fändest du das?«
»Ich würde gern so aussehen wie du«, sagte ich. »Ich wäre gern du.«
Nie hatte ich etwas Wahreres gesagt. Ich hätte mich in dieser Nacht liebend gern meiner eigenen Haut entledigt und in seine gehüllt, da ich fest daran glaubte, dass das die Bedeutung von Liebe war. Hatte ich nicht soeben gespürt, wie wir ineinander zusammenfielen, bis es keine Unterschiede mehr zwischen uns gab?
Den Fehler in dieser Denkweise zu erkennen sollte eine der härtesten Lektionen meiner Ehe werden. Es gab Bereiche in Ernests Innerstem, zu denen ich nicht vordringen konnte und zu denen er mich auch nicht vorlassen wollte. Ja, er brauchte mich, um sich sicher und bestätigt zu fühlen, so wie ich ihn brauchte. Aber es gefiel ihm auch, dass er in seiner Arbeit verschwinden konnte, weit weg von mir. Um zurückzukommen, wann immer er es wollte.
Neun
Ernest stieß sich vom Boden ab und ließ seinen Körper für einen Moment über dem See schweben, bevor er die Wasseroberfläche durchbrach. Als er wieder auftauchte, trat er im Wasser auf der Stelle und schaute zum Steg zurück, auf dem Dutch und Luman saßen und abwechselnd aus einer Schnapsflasche tranken. Ihre Worte wurden deutlich übers Wasser zu ihm getragen.
»Nicht übel, Wem«, rief Dutch. »Kannst du mir beibringen, so zu springen?«
»Nein«, rief er zurück. »Ich kann niemandem irgendetwas beibringen.«
»Dass du dich immer so zieren musst«, schnaubte Dutch, doch Ernest wollte nichts erwidern und rollte sich wie ein Stein zusammen, um sich im See nach unten sinken zu lassen, bis er den moosigen Grund erreicht hatte. Dort ließ er sich treiben, und das Moos fühlte sich kalt und sonderbar
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