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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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jedoch in der Wohnung fest, die aus zwei Zimmern bestand und deren Bad auf dem Flur lag, und hatte kaum etwas, womit ich mich beschäftigen konnte. Zu einer anderen Zeit wäre es mir vielleicht in den Sinn gekommen, mir eine Arbeit zu suchen, aber bislang hatte ich höchstens ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt, und zumindest in der Vorstellung erschien mir ein häusliches Leben durchaus reizvoll. Ich vermisste die Energie, die im Domizil herrschte, doch Kate war auf die Journalistenschule in Buffalo gegangen, und die Beziehung zwischen Ernest und Kenley war angespannt. Er hatte noch aus der Zeit vor unserer Hochzeit Mietschulden bei Kenley, aber Ernest beharrte immer fester auf seinem Standpunkt, dass Kenley ihn übervorteilen wolle. Er zahlte also nicht, und Kenley war fuchsteufelswild und schrieb Ernest schließlich, er solle kommen und seine restlichen Sachen abholen.
    Ernest verfasste einen groben Antwortbrief, mit dem er die Freundschaft opferte, als sei sie etwas völlig Wertloses gewesen. Ich wusste, dass er den Verlust und seinen eigenen Fehler bedauerte, doch er wollte nichts davon zugeben. Zu dieser Zeit war seine Laune ziemlich am Boden. Sein Stolz war verletzt, denn ein paar weitere Storys, die er an Zeitschriften gesandt hatte, waren abgelehnt worden. Es war eine Sache gewesen, keinen Erfolg zu haben, als er noch in seiner Freizeit schrieb. Aber nun widmete er sich ganz der Literatur, arbeitete jeden Tag hart und scheiterte dennoch. Was bedeutete das für die Zukunft?
    Auch in der Zeit, als er um mich warb, hatte es bereits Momente gegeben, in denen Ernests Mut sank und er niedergeschlagen war. Ein düsterer Brief von ihm konnte ziemlich beunruhigend wirken, doch dann vergingen ein paar Tage, undsein Tonfall wurde wieder heiterer und positiver. Seine Stimmungsschwankungen aus nächster Nähe zu beobachten war deutlich anstrengender. Beim ersten Mal, kurz nach unserer Hochzeit, verstörte es mich tatsächlich mehr, als ich zugeben mochte.
    Als er an jenem Tag vom Arbeiten im Café nach Hause kam, sah er einfach nur entsetzlich aus. Er wirkte müde und abgespannt, und seine Augen waren gerötet vor Anstrengung. »Ich war einfach zu lange allein in meinen Gedanken. Lass uns doch spazierengehen.«
    Es war November und recht kühl, doch wir packten uns warm ein und stapften eine ganze Weile Richtung See nebeneinander her. Ernest war schweigsam, und ich wollte ihn nicht bedrängen. Als wir das Ufer erreichten, wurde es dunkel, und auf dem Wasser war es stürmisch. Trotzdem konnten wir noch eine mutige oder auch nur dumme Seele in einem Ruderboot etwa achthundert Meter weit draußen ausmachen, das bedrohlich schwankte und immer wieder von Wellen überspült wurde.
    »Was würde Darwin wohl von diesem Tölpel halten?«, fragte Ernest mit einem schiefen Lächeln.
    »Aha«, machte ich. »Ich hatte schon befürchtet, dass ich diese hübschen Zähne nie wieder zu Gesicht bekomme.«
    »Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.« Er ließ das Gesicht in die Hände sinken und seufzte. »Ach, verdammt«, flüsterte er wütend und haute sich dann heftig mit den Fäusten gegen die Stirn.
    »Ernest!«, rief ich, doch er tat es wieder.
    Er begann zu weinen oder zumindest kam es mir so vor; denn er hatte sein Gesicht in den Händen vergraben.
    »Bitte sag mir doch, was los ist«, bat ich. »Du kannst mir alles sagen.«
    »Ich weiß es doch selbst nicht. Ich bin ein Wrack. Ich habe letzte Nacht kein Auge zugemacht.«
    »Bereust du es, dass wir geheiratet haben?« Ich versuchte, ihm in die Augen zu blicken. »Wenn es das ist, dann halte ich es aus.«
    »Ich weiß es nicht. Ich fühle mich einfach so verloren.« Er rieb sich mit dem Ärmel seiner Wolljacke über die Augen. »Ich habe diese Alpträume, und sie sind so real. Ich kann die Granaten explodieren hören und fühle das Blut in meinen Schuhen. Dann wache ich völlig verschwitzt auf. Ich habe Angst davor einzuschlafen.«
    Mich überkam eine Woge mütterlicher Liebe für ihn und ich wollte ihn fest in den Arm nehmen, bis das kalte Gefühl aus seinem Herzen verschwunden war. »Gehen wir nach Hause«, sagte ich.
    Wir liefen schweigend zurück zu unserer Wohnung. Dort angekommen, führte ich Ernest direkt ins Schlafzimmer und zog ihn aus, wie meine Mutter es immer mit mir getan hatte, wenn ich krank war. Ich legte die Decke fest um seine Schultern und rieb ihm dann die Arme. Nach einigen Minuten schlief er ein. Ich holte mir eine Decke und setzte mich in

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