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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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nahmen Gertrude und Alice unsere Einladung zum Tee in unserer trostlosen Wohnung an. Ich wolltemir nicht vorstellen, was sie wohl denken mochten, als sie das düstere und verkommene Treppenhaus erklommen, vorbei an den Pissoirs und dem entsetzlichen Gestank, doch sie verhielten sich liebenswert und zuvorkommend, als wären sie ständig in diesem Teil von Paris unterwegs. Sie tranken unseren Tee aus der Porzellankanne von unserer Hochzeit – zumindest
eine
Sache bei uns, die hübsch war – und saßen auf dem Mahagonibett.
    Gertrude hatte angeboten, sich ein paar von Ernests Arbeiten anzusehen, und nun fragte sie danach und las rasch die Gedichte, ein paar Storys und einen Teil des Romans, der in Michigan spielte. Genau wie er es in Chicago getan hatte, als ich zum ersten Mal etwas von ihm las, lief Ernest im Zimmer auf und ab, zuckte nervös und schien furchtbare Qualen durchzustehen.
    »Die Gedichte sind sehr gut«, sagte Stein schließlich. »Einfach und ziemlich klar. In ihnen ist nichts Gekünsteltes.«
    »Und der Roman?«
    Ich fand es sehr mutig von ihm, zu fragen und ihr überhaupt die Seiten zu zeigen, da der Roman für ihn noch eine ganz frische Liebe war. Sein Beschützerinstinkt war so groß, dass er mir bislang nichts davon gezeigt hatte.
    »Das ist nicht die Art Literatur, die mich interessiert«, erklärte sie endlich. »Drei Sätze über die Farbe des Himmels. Der Himmel ist der Himmel und nicht mehr. Starke Aussagesätze, darin sind Sie am besten. Bleiben Sie dabei.«
    Bei Steins Worten machte Ernest zunächst ein langes Gesicht, fing sich jedoch schnell wieder. Sie hatte ihren Finger auf etwas gelegt, das er selbst vor kurzem über die Direktheit und das völlige Entblößen der Sprache erkannt hatte.
    »Wenn Sie sich noch einmal dransetzen, lassen Sie nur das stehen, was unbedingt nötig ist.«
    Er nickte leicht errötet, und ich konnte beinahe sehen, wie sein Verstand ihren Rat annahm und ihn Pounds hinzufügte.»Lassen Sie alles Überflüssige weg«, hatte Pound gesagt. »Meiden Sie abstrakte Begriffe. Sagen Sie den Lesern nicht, was sie denken sollen. Lassen Sie die Handlung für sich sprechen.«
    »Was halten Sie von Pounds Theorie über den Symbolismus?«, wollte er von ihr erfahren. »Sie wissen schon, dass ein Falke zunächst und vor allen Dingen ein Falke ist.«
    »Aber das ist doch ganz offensichtlich«, erwiderte sie. »Ein Falke ist immer ein Falke, außer« – und hier zog sie eine ihrer dichten Augenbrauen hoch – »außer der Falke ist ein Kohlkopf.«
    »Was?«, fragte Ernest lahm grinsend und sichtlich verwirrt.
    »Genau«, sagte Gertrude.

Vierzehn
    In den folgenden Wochen nahm sich Ernest Miss Steins Rat zu Herzen und verwarf den Großteil seines Romans, um ihn noch einmal von vorn zu beginnen. In jener Zeit kam Ernest pfeifend und ausgehungert nach Hause und war ganz begierig darauf, mir seine Fortschritte zu präsentieren. Die neuen Seiten sprühten nur so vor Energie. Es war ein einziges Abenteuer mit Jagen, Angeln und Spurensuchen. Der Protagonist hieß Nick Adams, und er war wie Ernest, nur mutiger und reiner – so, wie Ernest wäre, wenn er jedem seiner Instinkte folgen würde. Ich fand den Text großartig und wusste, dass es ihm genauso ging.
    In dieser Zeit entdeckte er auch Sylvia Beachs berühmte Buchhandlung »Shakespeare and Company« am linken Seineufer und stellte zu seiner Überraschung fest, dass sie ihm Bücher auf Kredit auslieh. Er kam beladen mit Bänden von Turgenew und Ovid, Homer, Catull, Dante, Flaubert und Stendhal nach Hause. Pound hatte ihm eine lange Lektüreliste gegeben, die von den alten Meistern bis in die Gegenwart zu T. S. Eliot und James Joyce reichte. Ernest war ein gelehriger Schüler. Er verschlang alles, arbeitete sich gleichzeitig durch acht bis zehn Bücher, legte eins weg und hob ein anderes auf und hinterließ aufgeklappte Buchrücken in der ganzen Wohnung. Er lieh sich auch
Drei Leben
und
Tender Buttons
aus, die bisher kaum bekannten Werke von Gertrude Stein. Der Großteil der Literaturszene schien nicht zu wissen, was er mit ihrer Seltsamkeit anfangen sollte, und Ernest ging es ebenso. Er las mir eins der Gedichte aus
Tender Buttons
vor: »Eine Karaffe, das ist ein blindes Glas. Eine Art Glas und ein Cousin,ein Spektakel und nichts Merkwürdiges, eine einzige verletzliche Farbe und ein Arrangement in einem System zum Verweisen.«
    Er ließ das Buch sinken und schüttelte den Kopf. »›Eine einzige verletzliche Farbe‹ ist ja ganz

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