Madame Hemingway - Roman
nett, aber der Rest sagt mir einfach nichts.«
»Es ist interessant«, behauptete ich.
»Ja. Aber was soll es bedeuten?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht
bedeutet
es auch gar nichts.«
»Schon möglich«, sagte er und wandte sich lieber wieder Turgenew zu.
Mittlerweile war es April, unser erster Frühling in Paris, und meist regnete es leicht und warm. Seit unserer Ankunft hatte Ernest unser schmales Einkommen mit Leitartikeln für den
Toronto Star
aufgestockt. Eines Tages wurde ihm von seinem Chefredakteur John Bone mitgeteilt, er solle von einer internationalen Wirtschaftskonferenz in Genua berichten. Sie wollten ihm fünfundsiebzig Dollar plus Spesen bezahlen, Ehefrauen wurden jedoch nicht berücksichtigt. Ich sollte also in Paris bleiben, was unsere erste Trennung nach sieben Monaten Ehe bedeutete.
»Sei nicht traurig, Kat«, sagte er und packte seine geliebte Corona ein. »Ehe du es dich versiehst, bin ich schon wieder zurück.«
In den ersten paar Tagen genoss ich meine Einsamkeit sogar. Ernest war auch bildlich gesprochen ein sehr
großer
Mensch. Er nahm einen Raum ein und zog alles und jeden geradezu magnetisch an: Männer, Frauen, Kinder und sogar Hunde. Zum ersten Mal seit Monaten konnte ich in Ruhe aufwachen, meinen eigenen Gedanken lauschen und meinen eigenen Eingebungen folgen. Bald verschob sich dieses Gefühl jedoch. Ich weiß nicht recht, wie ich es beschreiben soll,aber nachdem der rosige Schimmer meiner eigenen Gesellschaft verblasst war, wurde mir Ernests Abwesenheit so deutlich bewusst, als sei sie an seiner Stelle bei mir eingezogen. Sein Schatten lag über jedem Tag, vom Frühstück bis zum Schlafengehen. Er hing an den Vorhängen im Schlafzimmer, in das die Akkordeonmusik im Rhythmus eines Blasebalgs eindrang und wieder verebbte.
Ernest hatte vorgeschlagen, ich solle zum Tee in Sylvias Buchhandlung gehen, was ich auch einmal tat, doch ich wurde dabei das Gefühl nicht los, dass sie sich aus reiner Höflichkeit mit mir unterhielt. Sie mochte Schriftsteller und Künstler, und ich war keins von beidem. Ich aß bei Gertrude und Alice zu Abend, und auch wenn die beiden allmählich zu wahren Freunden wurden, vermisste ich Ernest. Ich war nun einmal am liebsten in seiner Gesellschaft. Mich beschämte es geradezu, wie sehr ich von ihm abhängig geworden war. Ich versuchte, die Depression abzuwehren, indem ich alle Einladungen annahm und so wenig Zeit wie möglich in der Wohnung verbrachte. Ich zog durch den Louvre und die Cafés. Ich übte stundenlang ein neues Haydn-Stück, das ich Ernest nach seiner Rückkehr vorspielen wollte. Ich hatte erwartet, dass ich mich durch das Spielen besser fühlen würde, doch im Grunde erinnerte es mich nur an meine schlimmsten Zeiten in St. Louis, als ich einsam und von der Welt abgeschnitten war.
Ernest war drei Wochen lang fort, und am Ende schlief ich so schlecht in unserem Bett, dass ich oft mitten in der Nacht aufstand, mich in einen geraden Lehnstuhl setzte und dort in Decken gewickelt versuchte, etwas Ruhe zu finden. Kaum etwas bereitete mir noch Freude, abgesehen von meinen Spaziergängen auf der Île St. Louis und in deren Park, den ich mittlerweile lieben und schätzen gelernt hatte. Die Bäume standen nun in voller Blüte, und der schwere Geruch der Rosskastanienblüten lag in der Luft. Ich schaute mir auch gern dieHäuser um den Park herum an und fragte mich, was für Leute wohl darin lebten, wie ihre Ehen verliefen, wie sie sich Tag für Tag liebten oder verletzten, ob sie glücklich waren und ob sie Glück für einen dauerhaften Zustand hielten. Ich blieb so lange wie möglich im Park und lief dann zurück im Sonnenschein, den ich kaum spüren konnte.
Als Ernest im Mai endlich zurückkehrte, drückte ich ihn fest an mich und weinte vor Erleichterung.
»Was ist das denn? Hast du mich etwa vermisst, Feather Kat?«
»Viel zu sehr.«
»Gut. Es ist schön, dass mich jemand vermisst.«
Ich nickte in seine Schulter, doch ich fragte mich auch, ob es tatsächlich gut war, dass ich so sehr auf ihn angewiesen war. Er bewunderte schließlich meine Stärke und Unverwüstlichkeit und verließ sich darauf. Noch viel wichtiger war aber, dass ich mich selbst gern stark fühlte und es mir nicht behagte, dass dieses Gefühl mit ihm zusammen verschwunden war. War mein Glück mittlerweile so sehr von ihm abhängig, dass ich mich nur in seiner Gegenwart wie ich selbst fühlen konnte? Ich wusste es nicht. Mir fiel nichts weiter ein, als ihn langsam auszuziehen,
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