Madame Hemingway - Roman
nächste wichtige Vorstellungsrunde fand wenige Wochen später statt, als Gertrude Stein uns zum Tee einlud. Merkwürdigerweise verlief der Besuch ganz ähnlich wie unsere Begegnung mit Pound und Dorothy. Auch hier gab es zwei Ecken, eine für die Männer – in diesem Fall Ernest und Stein – und eine für die Frauen, ohne dass es zu einem Austausch zwischen beiden Seiten kam.
An der Tür erwartete uns ein richtiges französisches Hausmädchen, das unsere Mäntel in Empfang nahm und uns dann in
den
Raum führte –
den
Raum, wie wir mittlerweile wussten, nämlich den wichtigsten Salon von ganz Paris. Die Wände waren bedeckt mit den Meisterwerken der Moderne: Henri Matisse, André Derain, Paul Gauguin, Juan Gris und Paul Cézanne. Ein beeindruckendes Beispiel war ein Porträt Steins von Picasso, der über lange Zeit Teil ihres gesellschaftlichen Kreises gewesen war und oft an ihrem Salon teilgenommen hatte. Es war in dunklen Braun- und Grautönen gehalten, und ihr Gesicht schien vom Rest des Körpers getrennt zu sein, größer und wuchtiger, mit schweren Augenlidern.
Sie war zwischen fünfundvierzig und fünfzig, und ihr dunkles Kleid mit Schal sowie ihr Haar, das in einem großenKnäuel auf ihrem stattlichen Kopf saß, verliehen ihr das Aussehen der Alten Welt. Ihre Stimme war wie Samt, und ihre braunen Augen nahmen alles gleichzeitig wahr. Später, als ich Zeit hatte, sie genauer zu betrachten, war ich verblüfft, wie ähnlich ihre Augen denen Ernests waren: von einem tiefen, dunklen Braun, kritisch und annehmend, neugierig und heiter.
Steins Gefährtin Alice Toklas sah neben ihr wie ein Stück Draht aus. Sie hatte einen dunklen Hautton, eine scharf gebogene Nase und Augen, deren Blick man lieber entgehen wollte. Nach ein paar Minuten allgemeiner Konversation nahm sie mich bei der Hand und führte mich in die »Ehefrauenecke«. Ich verspürte ein Stechen des Bedauerns, dass ich keine Schriftstellerin oder Malerin war, niemand, der außergewöhnlich genug war, um mit Gertrude vor dem Kamin sitzen und sich mit ihr über wichtige Dinge unterhalten zu dürfen, wie Ernest es gerade tat. Ich war gern in Gesellschaft von interessanten und kreativen Menschen, als Teil dieser Woge. Doch für den Moment war ich in eine Ecke geschickt worden, wo ich von Miss Toklas Fragen zu Themen des Zeitgeschehens gestellt bekam, von denen ich gar keine Ahnung hatte. Ich fühlte mich entsetzlich dumm, und währenddessen tranken wir Tee und noch mehr Tee und aßen kleine, kunstvoll gefertigte Küchlein. Dabei stickte sie, und ihre geschickten Finger waren unaufhörlich in Bewegung. Sie schaute nie darauf, und sie hörte nie auf zu sprechen.
Ernest trank gerade ein Glas eines elegant gefärbten Branntweins mit Miss Stein. Ich glaube, ich habe mich an diesem Abend aus der Distanz heraus beinahe in sie verliebt, und Ernest ging es genauso. Auf dem Heimweg redete er lange über ihren innovationsfreudigen und tadellosen Geschmack. Außerdem bewunderte er ihre Brüste.
»Was denkst du wohl, wie viel sie wiegen?«, fragte er. Er schien es tatsächlich wissen zu wollen.
Ich lachte. »Das könnte ich nicht einmal annähernd schätzen.«
»Was hältst du davon, dass die beiden zusammenleben? Ich meine, zwei Frauen.«
»Ich weiß nicht. Sie leben jedenfalls ziemlich beeindruckend.«
»Allein die Bilder. Als wäre man in einem Museum.«
»Nur besser«, sagte ich. »Denn es gibt auch Kuchen.«
»Und Schnaps. Trotzdem ist es sonderbar. Zwei Frauen zusammen. Ich weiß nicht, ob ich ihnen das abkaufe.«
»Was willst du damit sagen? Glaubst du nicht, dass sie einander etwas Wichtiges geben können? Dass sie einander lieben? Oder ist es der Sex, den du ihnen nicht abnimmst?«
»Ich weiß nicht.« Er sträubte sich rechtfertigend. »Sie hat behauptet, Frauen zusammen seien die natürlichste Sache der Welt, und dass nichts für sie oder zwischen ihnen hässlich sei, aber dass zwei Männer zusammen immer angewidert von dem Akt an sich sein müssten.«
»Das hat sie gesagt?«
»Am helllichten Tag.«
»Wahrscheinlich ist es schmeichelhaft, dass sie so offen zu dir war.«
»Soll ich ihr das nächste Mal eine Anekdote aus unserem Intimleben erzählen?«
»Das würdest du nicht tun.«
»Nein, würde ich nicht.« Er grinste. »Vielleicht will sie ja kommen und dabei zusehen.«
»Du bist furchtbar!«
»Ja, aber du liebst mich dafür.«
»Ach ja, tue ich das?«, fragte ich, und er gab mir einen Klaps auf die Hüfte.
Zwei Wochen später
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