Madame Hemingway - Roman
fünf Uhr das Michaud betritt, kann man die ganze Sippe dabei beobachten, wie sie eimerweise Austern ausschlürfen.«
»Alle sagen, dass
Ulysses
ganz großartig sei«, sagte Ernest. »Ich habe ein paar in Fortsetzung veröffentlichte Kapitel gelesen. Es ist nicht gerade das, woran ich gewöhnt bin, aber es geschieht schon etwas sehr Wichtiges darin.«
»Es ist absolut brillant«, bestätigte Lewis. »Wenn man Pound glauben darf, wird Joyce alles auf den Kopf stellen. Hast du Pound schon besucht?«
»Bald«, antwortete Ernest, obwohl er auch dieses Empfehlungsschreiben noch nicht abgeschickt hatte.
»Guter Kerl, geh zu ihm. Mit Pound kommt nicht jeder zurecht, aber man muss ihn zumindest einmal kennenlernen.«
»Was ist denn so schwierig an Pound?«, wollte ich wissen.
»Eigentlich nur er selbst.« Lewis lachte. »Du wirst schon sehen. Wenn Joyce mit seinem schäbigen Mantel und dem Gehstock der schweigsame Professor ist, dann ist Pound der wichtigtuerische Teufel, halb wahnsinnig von all seinem Gerede über Bücher und Kunst.«
»Den Teufel habe ich schon getroffen«, sagte Ernest und trank den letzten Schluck aus seinem Weinglas, »und für Kunst interessiert der sich kein bisschen.«
Als der Abend dem Ende zuging, fanden wir drei uns betrunken in unserer Wohnung wieder, wo Ernest versuchte, Lewis zu einem Boxkampf zu überreden. »Eine halbe Runde, nur zum Spaß«, beschwatzte er ihn und zog sich bis zur Taille aus.
»Ich war noch nie ein Kämpfer«, sagte Lewis und wich zurück, doch nach ein paar weiteren Cocktails gab er schließlich nach. Ich hätte ihn vielleicht warnen sollen, dass Sport für Ernest niemals nur ein Spaß war, egal, was er auch behaupten mochte. Ich hatte seinen Blick damals in Chicago gesehen, als er Don Wright beinahe umgehauen hätte. Und dieses Match verlief wieder ganz genauso. In den ersten paar Minuten wirkte es noch wie eine lustige Karikatur, wie sich beide Männer mit geballten Fäusten und gebeugten Knien voreinander aufbauten. Es war so deutlich sichtbar, dass Lewis nicht sportlich war, dass ich dachte, Ernest würde die ganze Idee aufgeben, doch da schlug er plötzlich zu, ohne vorherige Provokation, aus der Schulter heraus und genau in die Mitte.
Seine Faust traf hart auf. Lewis’ Kopf schleuderte zurück und wieder nach vorn, und seine Brille flog in eine Zimmerecke. Sie war zerbrochen, und in seinem Gesicht waren einige Einschnitte zu sehen.
Ich eilte sofort zu ihm, um ihm zu helfen, stellte jedoch fest, dass er lachte. Da begann auch Ernest zu lachen, und am Ende war doch alles gut. Aber ich wurde den Gedanken nicht los, wie kurz wir davor gestanden hatten, unseren einzigen Freund in Paris gleich wieder zu verlieren.
Lewis war es schließlich, der Ernest Mut machte, die restlichen Empfehlungsschreiben abzuschicken, und schon bald bekam er eine Einladung von Ezra Pound. Pound war noch nicht sehr bekannt in den Staaten, wenn man sich nicht gerade mit Lyrik auskannte und Literaturzeitschriften wie
Dial
oder
Little Review
las, doch in Paris hatte er einen guten Ruf als Dichter undKritiker, der an der Revolution der modernen Kunst beteiligt war. Ich wusste kaum etwas darüber, was modern war – ich las immer noch den schrecklich spießigen Henry James, woran Ernest mich immer wieder gern erinnerte –, aber Lewis hatte auch so viel Nettes über Pounds englische Ehefrau Dorothy gesagt. Ich brannte darauf, neue Freundschaften zu schließen und kam daher gern mit, als Pound Ernest zum Tee einlud.
Dorothy empfing uns an der Tür und führte uns hinein, in einen riesigen, zugigen Raum voller japanischer Gemälde und Schriftrollen und überall verteilter Bücherstapel. Sie war wunderschön, hatte eine entzückende hohe Stirn und Haut wie eine Porzellanpuppe. Ihre Hände waren blass und liefen spitz zu, und sie sprach mit einem Flüstern, während wir auf Pound zugingen, der in einem blutroten Damastsessel saß, umgeben von Regalen voller staubiger Bücher und fleckiger Teetassen, Papierbündel und exotisch anmutender Figürchen.
»Sie haben rotes Haar«, wandte Pound sich an mich, nachdem Dorothy uns vorgestellt hatte.
»Sie auch. Bringt das Glück?«
»Niemand hegt so viel Groll wie Rothaarige«, sagte er ruppig und in vollem Ernst an Ernest gewandt. »Merken Sie sich das, junger Hemingway.«
»Ja, Sir«, sagte Hemingway wie ein guter Schüler.
Und Ernest
war
tatsächlich vom ersten Augenblick an Pounds Schüler. Pound erkannte zweifellos einen Mann, der nach
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