Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
Vom Netzwerk:
beschriebenen Seiten zu ihm gehören und ihn ausmachen. Es ist, als hätte jemand mit einem Besen sein Innerstes ausgekehrt, bis alles sauber und glänzend und hart und leer ist.

Dreiundzwanzig
    Als Ernest aus Paris zurückkehrte, war er sehr zärtlich zu mir und sagte wieder und wieder, dass alles vergeben sei, doch sein Blick wirkte verletzt und verändert. Seine Arbeit bei den Friedensgesprächen war noch nicht beendet, und er erledigte sie wie immer, warf sich ganz ins Geschehen des Tages und war bei seiner Rückkehr stets erschöpft und froh über einen Drink. Ich vertrieb mir die Zeit mit Spaziergängen durch die Stadt, bei denen ich nach Weihnachtsgeschenken für zu Hause Ausschau hielt. Noch mehr als in unserem ersten Jahr in Frankreich hatte ich das Bedürfnis, uns etwas von dem Feiertag zu bewahren, wie ich ihn aus meiner Kindheit kannte. Ich lief stundenlang herum und starrte in Schaufenster, doch nichts in Lausanne sah für mich nach Weihnachten aus.
    Am Ende der Woche packten wir unsere Sachen für die Reise nach Chamby. »Nach allem, was passiert ist, erscheint es mir nicht richtig, einfach weiter unserem Plan zu folgen«, äußerte ich Ernest gegenüber.
    »Vielleicht hast du recht«, erwiderte er. Seine Stimme klang müde. »Aber was sollten wir stattdessen tun?«
    »Zurück nach Paris gehen?«
    »Das wäre doch noch schlimmer, oder?«
    »Ich weiß nicht, wie ich Weihnachten in dieser Stimmung ertragen soll. Alles scheint kaputt zu sein. Vielleicht sollten wir über eine Heimkehr nachdenken.«
    »In die Staaten? Und unser Scheitern eingestehen? Willst du mich umbringen?«
    »Es tut mir leid. Es ist nur so schwer zu sagen, wie es weitergehen soll.«
    »Ja«, sagte er. Er nahm seine Corona vom Tisch und setzte sie vorsichtig in ihren schwarzen Koffer, bevor er diesen zuschnappen ließ. »Das ist es in der Tat.«
     
    Chamby war noch genauso, wie wir es in Erinnerung hatten. Unser Chalet war immer noch perfekt und hatte sich nicht verändert, ebenso wenig die schneebedeckten Berge und unsere Gastgeber, die Gangwischs, die uns wie lang vermisste Familienmitglieder begrüßten. Nach der bedrückten Stimmung der Wochen in Lausanne war all das so angenehm, dass wir uns völlig hineinsinken ließen. Noch bevor wir die Koffer ausgepackt hatten, zogen wir unsere Skiklamotten an und nahmen die letzte Bahn hinauf nach Les Avants. Es dämmerte bereits, als wir unsere Skier anschnallten und durch den Pulverschnee den Hang in Richtung Dorf hinabschossen. Der Wind dröhnte uns in den Ohren und brannte uns auf den Wangen, während wir davonrasten, Ernest knapp vor mir, sein beschädigtes Knie in einen festen schwarzen Stoff gewickelt. Er belastete das andere Bein ein wenig stärker, doch insgesamt strahlte sein Körper so viel Leichtigkeit aus wie schon lange nicht mehr. Ich war froh und erleichtert und schickte ein kleines Dankgebet an die verschneiten Fichten, den samtenen Himmel, der in allen Rosaschattierungen leuchtete, und den Genfer See, der in einiger Entfernung flach und glänzend wie ein Spiegel dalag.
    Am nächsten Tag blieben wir lange in unserem Himmelbett liegen und wachten nicht einmal auf, als das Zimmermädchen auf Zehenspitzen hereinkam, um das Feuer anzuzünden. Später, als der Raum warm war und der Porzellanofen summte, schlugen wir schließlich die Augen auf.
    »Gut, dass wir hergekommen sind, Tatie«, sagte ich und kuschelte mich an Ernest, um seinen Nacken und die Erhebungen seiner Wirbelsäule zu küssen.
    »Ja«, erwiderte er. »Lass uns jeden Augenblick genießen und an nichts anderes denken.«
    »Etwas anderes gibt es nicht«, sagte ich. Ich rollte mich auf ihn und legte mich auf seinen flachen, muskulösen Bauch. Ich zog mein Nachthemd hoch und griff nach ihm, um ihn in mich hineinzuführen.
    Er stöhnte und schloss die Augen und gab sich vollkommen hin.
     
    Chink kam am ersten Weihnachtsfeiertag, und das Fest verlief am Ende gar nicht traurig. Wir hatten Strümpfe füreinander und für Chink aufgehängt, die wir nun öffneten. Danach aßen wir ein königliches Festmahl. Erst spät am Abend, als wir mit warmem Brandy in unseren Gläsern und Mägen vor dem Feuer saßen, kam Ernest auf die fürchterliche Geschichte vom Verlust seiner Manuskripte zu sprechen.
    »O Junge«, sagte Chink, als Ernest geendet hatte. »Kannst du wirklich noch einmal bei null anfangen?«
    »Ich weiß es nicht. Aber ich hab das verdammte Zeug doch schon einmal geschrieben, oder etwa nicht?«, antwortete Ernest.

Weitere Kostenlose Bücher