Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
Vom Netzwerk:
an der italienischen Riviera auf, wo die Pounds eine Villa gemietet hatten.
    »Ezra glaubt, er habe den Ort entdeckt«, erzählte mir Ernest im Zug. »Obwohl Wordsworth und Keats schon ein Weilchen vor ihm da waren.«
    »Ezra glaubt auch, er habe die Bäume und den Himmel entdeckt.«
    »Aber man muss den Kerl schon großartig finden, nicht wahr?«
    »Ich schätze, ich muss nicht unbedingt, aber ich tue es gern für dich.«
    Nachdem wir mehr als einen ganzen Tag lang gen Süden gefahren waren, kamen wir schließlich in die Nähe von Genua, wo die Landschaft immer frühlingshafter und lieblicher wurde.
    »Das ist ja wie im Himmel«, rief ich. »Ich wusste nicht, dass es hier so schön ist.« Hinter unserem Fenster brach das schäumend-blaue Meer immer wieder durch die dunklen Felsen, die wir durchfuhren. »Haben wir nicht riesiges Glück, dass es uns so gut geht, Tiny?«, fragte ich, als wir gerade in einen Tunnel hineinfuhren.
    »Ja, das haben wir«, erwiderte er und küsste mich. Das Rattern des Zuges hallte von den schwarzen Felsen wider und dröhnte in unseren Ohren.
    Schließlich erreichten wir Rapallo, und ich fand das Städtchen mit seinen blassrosa und gelb gestrichenen Hotels an der Küstenlinie und dem ruhigen, leeren Hafen ganz bezaubernd. Ernest fand es auf Anhieb scheußlich.
    »Hier ist ja gar niemand«, bemerkte er, als wir in unserem Hotel angelangt waren.
    »Wer sollte denn hier sein?«
    »Ich weiß nicht. Dieser Ort erscheint mir so leblos.« Er stand am Fenster unseres Zimmers mit Blick auf die Küste. »Kommt dir das Meer nicht auch ziemlich rückgratlos vor?«
    »Es sieht aus wie das Meer«, erwiderte ich, stellte mich hinter ihn und legte meine Arme fest um ihn. Ich wusste, dass nicht der Ort an seiner Stimmung schuld war. Während unserer letzten Woche in Chamby hatte ich ihn morgens beim Aufwachen mehrmals an dem kleinen Schreibtisch in unserem Zimmer entdeckt, den gespitzten Bleistift reglos neben seiner Hand, sein blaues
cahier
aufgeschlagen, aber leer vorsich. Er arbeitete immer noch nicht, und je länger dieser Zustand anhielt, desto schwerer würde es ihm fallen, wieder anzufangen. Er war fest entschlossen, es zu tun. Er würde es auch tun. Nur wie?
    In Rapallo spielten wir jeden Tag Tennis und trafen uns zu ausgedehnten Lunchs mit den Pounds in ihrem Terrassengarten. Ein weiteres Paar erschien, um die Ferien mit uns zu verbringen: Mike Strater, ein mit Pound befreundeter Maler, und seine Frau Maggie. Sie hatten ein zum Anbeißen süßes kleines Mädchen mit blonden Haarsträhnen und grauen Augen. Ich schaute ihr gern dabei zu, wie sie die Welt außerhalb ihrer Decke erkundete, Grasbüschel ausriss und dann lange ihre Hand anstarrte, als läge darin ein Geheimnis verborgen. Währenddessen veranstalteten Ernest und Mike auf den Steinplatten einen Boxwettkampf. Mike war nicht nur künstlerisch äußerst begabt, sondern auch athletisch, und er war für jeden Spaß zu haben. Ich sah, dass Ernest ihn vom ersten Augenblick an mochte. Mike war ein viel besserer Wettkampfpartner für Ernest als Pound, der sich auf seine stürmische Art zwar große Mühe gab, jedoch nun einmal die zarten Hände eines Dichters besaß.
    Das Februarwetter in Italien war unbeständig. An manchen Tagen verdeckte der Nebel die Hügel hinter der Stadt, was unser Gefühl von Abgeschiedenheit noch verstärkte. Die Palmen tropften vor Nässe, und die Schwalben hielten sich irgendwo versteckt. An anderen Tagen war die Luft feucht und sonnendurchflutet. Wir konnten auf der Piazza oder der Promenade herumspazieren und die Fischer auf dem Pier beobachten, die ihre Angelruten in die Flut hielten. Der Ort war berühmt für seine Spitze, und ich stöberte gern in den Schaufenstern nach den schönsten Stücken, die ich als Geschenke nach Hause schicken konnte, während Ernest mit Ezra lange Spaziergänge in den felsigen Hügeln unternahm und sich über italienischeTroubadoure und die zweifelhaften Vorzüge des automatischen Schreibens unterhielt. Ernest sagte immer, er wolle seinen Geist bei der Arbeit nicht ausschalten, da er das Einzige sei, worauf er sich verlassen könne. Das mochte stimmen, doch nach getaner Arbeit konnte er seine Gedanken dann, wenn überhaupt, nur mit einem Glas Whiskey zur Ruhe bringen. Und wenn er gar nicht arbeitete, drohten seine Gedanken oft übermächtig zu werden. Das war nicht leicht mitanzusehen, und ich sorgte mich um ihn.
    Nach einer Woche in Rapallo hatte ich plötzlich noch einen weiteren Grund

Weitere Kostenlose Bücher