Madame Hemingway - Roman
zur Sorge. Beim Aufwachen war mir schwindelig, und in meinem Kopf dröhnte es. Ich bekam mein Frühstück nicht hinunter und legte mich wieder ins Bett.
»Das werden die Muscheln von gestern Abend sein«, erklärte ich Ernest und blieb bis zum Mittag im Zimmer, als das Gefühl endlich nachließ.
Als die Symptome am nächsten Morgen zur gleichen Zeit wiederkehrten, vergab ich den Muscheln und begann stattdessen die Tage vor und zurück zu zählen. In Chamby waren wir direkt vor Weihnachten und wenige Tage nach meiner Monatsblutung angekommen. Nun war der 10. Februar, und ich hatte meine Periode noch immer nicht bekommen. Als Ernest das Zimmer verließ, um Ezra zu besuchen, suchte ich nach seinen Notizbüchern und studierte insbesondere das eine, das mir Aufschluss über meine Situation geben konnte. Im letzten Jahr war ich nie mehr als einen oder zwei Tage zu spät dran gewesen. Nun war es schon mindestens eine Woche, vielleicht auch zehn Tage. Ich war aufgeregt, erwähnte Ernest gegenüber aber nichts. Es war noch nicht sicher, und ich hatte zu viel Angst vor seiner Reaktion.
Ich konnte allerdings auch nicht für immer ein Geheimnis daraus machen. Mir wurde schon beim Anblick von Essen schlecht, und der Geruch von Whiskey oder Zigaretten ließmich geradezu grün anlaufen. Ernest gab sich zum Glück damit zufrieden, es auf das exotische Essen zu schieben, doch Shakespear wurde langsam misstrauisch. Eines Nachmittags saßen wir an einem Tisch im Garten und sahen Ernest und Mike beim Tennisspielen zu. Sie blickte mich aufmerksam an und fragte: »Irgendetwas hat sich in letzter Zeit bei dir verändert, oder?«
»Das sind meine Wangenknochen, die man endlich einmal erkennen kann«, erklärte ich. »Ich habe fünf Pfund abgenommen.«
»Vielleicht«, sagte sie nachdenklich, doch in ihrem Blick war eine seltsame Klarheit, die mir das Gefühl gab, sie kenne die Wahrheit.
Ich versuchte, diesen Blick zu ignorieren, und lenkte vom Thema ab: »Du scheinst aber auch abzunehmen, meine Liebe. Du schwindest ja geradezu dahin.«
»Ich weiß. Es ist diese Sache mit Olga Rudge«, seufzte sie.
Sie hatte mir schon vor einiger Zeit von Olga erzählt, einer Konzertviolinistin, die seit über einem Jahr Pounds Geliebte war. »Was ist passiert?«, wollte ich wissen. »Hat sich etwas geändert?«
»Eigentlich nicht. Ich rechne immer damit, dass er in ein ganzes Dutzend Frauen verliebt ist, so ist er nun einmal. Aber das hier scheint etwas anderes zu sein. Zum einen dauert die Affäre schon so lange. Und dann taucht sie auch noch in den
Cantos
auf, natürlich schön in einem Mythos versteckt. Aber ich erkenne sie.« Sie schüttelte ihren hübschen Kopf, als wollte sie das Bild loswerden. »Sie hat sich ziemlich tief eingegraben. Ich frage mich, ob wir sie je wieder loswerden.«
»Das tut mir so leid«, sagte ich. »Aber du scheinst ihm wahnsinnig viel durchgehen zu lassen. Ich kann so eine Art von Ehe gar nicht begreifen. Ich schätze, ich bin einfach eine hoffnungslose Puritanerin.«
Sie zuckte graziös mit den Schultern. »Mike Strater ist auch gerade in so eine Geschichte verwickelt.«
»O Gott. Weiß Maggie davon?«
»Jeder weiß es. Er ist völlig von Sinnen.«
»Er sieht gar nicht so aus.«
»Nein«, bestätigte Shakespear. »Aber das tun sie nie. Wenn es um Herzensangelegenheiten geht, können Männer äußerst stoisch sein.«
»Du wirkst auf mich auch ziemlich stoisch.«
»Ja, Liebes, aber ich arbeite verdammt hart daran.«
Ezra war als Schürzenjäger bekannt, von ihm hatte ich nichts anderes erwartet. Doch die Neuigkeit über Mike Strater hatte mich aus der Bahn geworfen, da seine Ehe mit Maggie so stabil wirkte. Ich hatte die beiden und ihre Tochter still beobachtet und bewundert und mir dabei vorgestellt, wie Ernests und mein Kind sich ganz natürlich ins Bild fügen und nur wenig an unserem Leben oder Ernests Arbeit verändern würde. Dieser Traum hatte nun einen Kratzer bekommen. Das Baby war mit ziemlicher Sicherheit unterwegs, doch was würde es erwarten?
Die Ehe konnte ein Minenfeld sein. In Paris sah man überall die Ergebnisse schlechter Entscheidungen von Liebenden. Ein Künstler, der sich dem sexuellen Exzess hingab, war nahezu ein Klischee, doch keiner schien sich daran zu stören. Solange man nur etwas Gutes, Interessantes oder Sensationelles zustande brachte, konnte man so viele Geliebte haben, wie man wollte, und jede einzelne von ihnen ruinieren. Nicht akzeptabel waren dagegen bürgerliche Werte,
Weitere Kostenlose Bücher