Madame Lotti
stattfindet, in diesen Momenten bin ich mit Bestimmtheit der glücklichste Mann auf Erden.
Längst besucht aber nicht nur sie uns, sondern auch wir sie. Ich freue mich riesig darauf, sie in meinen nächsten Ferien beim Bau des dritten Zentrums, ‹Centre Espoir Trois›, dem Mütter- und Kinderheim, zu unterstützen, das Fundament aus dem Boden zu stampfen, Kabel zu ziehen, Wasserleitungen zu verlegen und mit den Arbeitern zu diskutieren.
Es ist schön, mit Lotti auf dem Bauplatz zu stehen, es ist schön, dass sie erkannt hat, dass sie mich – wann immer sie ein Problem hat – um Hilfe fragen kann. Es ist schön, dass ich ihr mit meinen Kontakten, die ich in Abidjan immer noch habe, helfen kann und dass sie auf mein Urteil Wert legt.
Bei einem meiner ersten Besuche in Adjouffou sagte ich Lotti einmal: ‹Das kommt nicht gut mit dem Ambulatorium. Es sterben zu viele. Ein Ambulatorium ist dazu da, die Menschen aufrecht und gesund und nicht im Leichenwagen zu entlassen.› Es ging nicht lange, und Lotti hatte die Lösung des Problems: den Bau eines Sterbespitals. Diesen begleitete ich vor Ort genauso intensiv wie von Kairo aus. Lotti faxte mir Bilder, fragte mich um Rat, liess mich mit den Bauleuten telefonieren, hörte sich meine Vorschläge an, und wenn sie in Kairo war, sassen wir nächtelang über den Plänen und fragten uns, was wir noch modifizieren könnten.
In Adjouffou habe ich inzwischen viele Freunde gefunden. Ouattara, dessen Sohn meinen Namen trägt, Monsieur Konaté, Monsieur David, Monsieur Koné, Véronique, Arlette, Hortense, Adelaide. Ich liebe es, in Adjouffou auf den Nachtmarkt zu gehen, mit Lotti ein Poulet braisé und ein Bier zu teilen, ich liebe die Wärme der Nacht, das Sprühen der Grillfeuer, das Dröhnen der Musikboxen, das Tanzen der Kinder.
Mein Zuhause jedoch ist Tunesien. Meine zweite Heimat die Schweiz. Die Elfenbeinküste bedeutet für mich Afrika, und als Afrikaner, der ich ja schliesslich bin, fühle ich mich in Abidjan und ganz besonders in Adjouffou im Zentrum dieses Kontinents.
Die letzten Jahre brachten mir die Bestätigung, dass man nur dann im Frieden mit jemandem leben kann, wenn man im Frieden mit sich selbst ist. Hat man Streit mit anderen, lebt man im Streit mit sich selbst. Ist man hässlich zu anderen, wie soll man dann nett zu sich selbst sein? Erst wer sich selbst vertraut, kann auch anderen vertrauen. Vertrauen! Vielleicht war es das, was unsere Ehe gerettet hat.
Am schlimmsten litt ich, wenn wir uns anschauten und ich in Lottis Augen sah, dass die Schuldgefühle sie zermalmen könnten. Wenn ich sah, wie sehr die Mutter in ihr litt. Ich hätte ein Scharfrichter sein müssen, einer Frau, die im Pflegen so aufgeht, die so vielen Frieden bringt, zusätzliche Schuldgefühle zu verursachen. Wir mussten einen Ausweg finden. Das Leiden dauerte mehr oder weniger drei volle Jahre. Es stimmt, dass die Zeit Wunden heilt. Die Worte ‹Ich liebe dich› kamen mir auch in dieser Phase zum Glück nie abhanden.»
Und noch während ich seinen Worten nachhänge, schmunzelt Aziz und füllt die entstandene Ruhe mit einem weiteren Gedanken aus: «Es wäre schön, ‹Ich liebe dich› wären eines Tages meine letzten drei Worte. – Etwas pathetisch, ich weiss, aber es ist tatsächlich so. Möchtest du einen Kaffee? Oder vielleicht lieber ein Bier?»
Als ich abreise, ist mir eines vollkommen klar: Hätte Lotti nicht diesen Mann, würde sie nicht in Adjouffou wirken. Lotti wusste, dass ihre Kinder, vor allem die Jüngste, bei Aziz perfekt aufgehoben sind. Sie wusste, dass sie sich hundert Prozent auf ihn verlassen kann. Sie wusste, dass er es auch ohne sie schafft. Hätte Lotti für ihre Kinder nicht diesen Vater gehabt, wäre ihre Entscheidung eine andere gewesen.
Später, im Flugzeug nach Zürich, erkenne ich: Die Liebesgeschichte der beiden ist eine der schönsten, die ich je erzählt bekommen habe.
Fortsetzung des Tagebuchs
Immer noch Montag, 8. März
Um drei Uhr nachmittags hat Lotti ihre Sprechstunde beendet. Kommt zu mir, setzt sich neben mich auf die Treppe. «Ich habe mit Aziz gesprochen und werde höchstwahrscheinlich im April nach Kairo reisen.» «Schön, das freut mich – heute brauche ich eine Siesta.» «Du, eine Siesta? Und morgen schneit es dann schwarzen Schnee?» Als Antwort müssen mir die Lachfalten genügen, die sich um ihre Augen auffächern. Sie sieht strahlend aus, absolut zufrieden, eingebettet und – überhaupt nicht müde. Wie macht sie das nur?
Weitere Kostenlose Bücher