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Madame Lotti

Madame Lotti

Titel: Madame Lotti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Arx
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rückfällig werden könnte, falls ihr ein fremdes Gesicht zu nahe kommt. Aber Véroniques und Lottis Bemühungen scheinen nachhaltig Wirkung zu zeigen. Émilie begnügt sich damit, Lotti anzufauchen: «Und wer ist die dort?»
    Während Lotti Émilie Antwort gibt, ziehe ich es vor, nach draussen zu gehen und Alimata einen Besuch abzustatten. Sie liegt in Embryostellung auf der Seite, grüsst mich, lächelt kein bisschen, ist aber damit einverstanden, dass ich die giftgrüne Massagesalbe hole und ihre Hände massiere. Ich setze mich zu ihr und versuche, etwas Wärme in Alimata hineinzukriegen. Beobachte, wie Arlette auf Noëls Bett sitzt und mit ihm redet. Später wird sie mir erzählen, dass Noël mit ihr über den Tod habe sprechen wollen und den Wunsch geäussert habe, wenn schon, dann hier sterben zu dürfen.
    Vier Stunden später erreicht uns auf dem Nachtmarkt ein Telefonanruf von Monsieur Konaté, Noël habe einen neurologischen Ausfall gemacht. Kurz darauf, es ist inzwischen halb zehn Uhr, stehen wir an Noëls Bett. Monsieur Konaté rapportiert: «Er rief mich mit der Bitte, ihm seinen Rosenkranz umzuhängen. Kurz darauf hörte ich ihn fürchterlich schreien und fand ihn im Delirium vor. Etwa fünf Minuten später hörte er mit Schreien auf und begann sich völlig unkontrolliert zu bewegen.»
    Noël liegt inzwischen ganz ruhig da. Auf seinem nackten Oberkörper das Kreuz des Rosenkranzes. Als Lotti es zurechtrücken will, kommt Bewegung in den bewusstlosen Körper. Noël verteidigt den Rosenkranz wild gestikulierend.
    Lotti beruhigt ihn: «Keine Angst, ich nehme ihn dir nicht weg.»
    Sie hat sich an der Kopfseite seines Bettes niedergekniet, streichelt ihm den kahlen Kopf und bittet mich, Arlette zu holen, die, nachdem sie ihre Rasselbande zu Bett gebracht hat, den Feierabend vor dem Fernseher geniesst.
    Als ich sie zu Noël bitte, weiss sie sofort, worum es geht. Sie bindet sich das Tuch, das in ihrem Schoss liegt, um den Kopf, steht auf. Ich folge ihr, stolpere dabei aber schier über Alimata, die es heute vorzieht, nicht im Bett, das unter dem Vordach steht, sondern auf einer Matte unter freiem Himmel zu übernachten.
    Als ich sehe, dass sie wach ist, frage ich, ob sie Schmerzen habe.
    «Die eine Seite des Rückens tut so weh, dass ich nicht einschlafen kann.»
    Ich setze mich zu ihr, lege meine Hand auf die Stelle, die nicht kalt, sondern heiss ist, und frage, ob sie ein kühlendes Tuch oder lieber eine wärmende Massage möchte. Alimata bittet mich, einfach bei ihr sitzen zu bleiben, bis sie eingeschlafen ist, und die Stelle zu halten, die so schmerzt. Ich beobachte, wie Arlette sich zu Noël beugt, dann mit Lotti spricht und sich langsam wieder aufrichtet. Kurz darauf steht sie so kerzengerade da, als sei sie eine Marionette an einem unsichtbaren Faden. Arlette beginnt zu singen. Ein Lied, dessen Melodie bald die Nacht erfüllt. Es ist schwierig, die einzelnen Worte zu erkennen, den sich oft wiederholenden Refrain allerdings verstehe ich bald: «Dein Vater kann dich verlassen, deine Mutter kann dich verlassen, jedermann kann dich verlassen, aber Gott, Gott bleibt dir treu.»
    Arlette, die gläubige Christin, lässt das Lied schliesslich im sich nun ständig wiederholenden Refrain ausklingen, streichelt Noël über die Stirn, verlässt das Zimmer, geht zu ihren Kindern, kniet sich vor sie hin, faltet die Hände. Betet.
    Alimata ist eingeschlafen, ich stehe leise auf, hole im Büro einen Stuhl, setze mich zu Noël ans Bett, nehme seine Hand in meine. Lotti befreit sich aus ihrer knienden Position, verlässt den Raum, um Noëls Grossvater anzurufen. Sie kommt mit einer Petroleumlampe zurück, setzt sich auf den Stuhl, den ihr Monsieur Konaté inzwischen bereitgestellt hat, und beugt sich zu Noël hin: «Ich weiss nicht, ob dein Grossvater die Kraft hat, vorbeizukommen. Wir werden sehen.»
    Das Licht der Petroleumlampe hat etwas Tröstendes, das Gezirpe der Grillen im Hof auch. Die Ruhe im Zimmer wird nur durch das Ticken der Wanduhr gestört, die über dem dritten Bett hängt. Sie gehört Robert, der nicht schläft, sondern vor dem Fernseher sitzt. Und zwar, wie ich erstaunt feststelle, in ein paar Shorts, die ich für die Kinder mitbrachte, die für diese aber viel zu gross sind. Was meinem zwölfjährigen Sohn einst passte, passt hier einem Dreiunddreissigjährigen. Ich habe ihm heute Nachmittag gesagt, wie schön die Uhr sei, und er hat sich riesig darüber gefreut. Das Zifferblatt ziert ein blond

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