Madame Lotti
vorhanden, gelegentlich auch Durchfall. Die gleichen Krankheitssymptome können allerdings auch durch etliche andere Infektionserreger hervorgerufen werden. Beweisen kann man eine Malaria nur durch den Nachweis der Parasiten im Blut
.
Bei Adelaide war es wahrscheinlich eine bakterielle Infektion und keine Malaria. Dank der Antibiotika tauchte sie am Abend auf dem Nachtmarkt auf. Allerdings längst nicht in alter Form.
Nachdem Lotti ihre Hand wieder von Adelaides Stirn genommen und festgestellt hat: «Du glühst!», macht Adelaide uns darauf aufmerksam, dass man Lotti ein Geschenk gebracht habe.
«Ein Geschenk?»
Lotti sagt: «Komm, wir gehen ins Krankenzimmer.»
Ich gehe mit. Obwohl ich eigentlich nicht will. Inzwischen bin ich darauf gekommen, was Adelaide mit Geschenk gemeint haben könnte. Und wenn ich ehrlich bin – will ich es gar nicht sehen. Nach wie vor ist mir unerklärlich, wie Lotti auf Menschen zugehen kann – und dies meist ganz allein –, die eine einzige Wunde sind, deren Kleider von Erbrochenem und mehr verdreckt sind, die – auch das erlebt sie immer wieder – von Würmern in den Wunden buchstäblich gefressen werden.
Ich begleite Lotti, weil ich ihr zur Seite stehen will, damit sie der Tragödie Schwarzafrikas für einmal nicht alleine in die Augen sehen muss. Ich kippe auch nicht um, als ich das, was unter dem Tuch hervorkommt, sehe. Und rieche. Vielleicht roch ich es auch zuerst. Auf alle Fälle bin ich einmal mehr froh um meine frühere Tätigkeit im medizinischen Bereich.
Der neue Patient heisst «Dieu-Donné», der von Gott Gegebene. Ich frage mich unwillkürlich, ob er ihn zurückhaben will. Der Hals und die untere Partie des Kopfes sind dick geschwollen, an zwei, drei Stellen – ich will gar nicht genau hinsehen – bricht der Eiter durch. Die Schmerzen müssen unerträglich sein. Lottis Diagnose hingegen ist – irgendwie – erträglich: Karies.
«Bist du sicher, Karies?»
«Wenn du wüsstest, wie oft ich das schon gesehen habe, wenn du wüsstest, wie wütend es mich macht, dass hier Kinder an einem unbehandelten Loch im Zahn sterben!»
Lottis Wut bricht sich Bahn. «Warum», fragt sie die Mutter, «warum haben Sie ihn uns nicht früher gebracht – warum?» Lotti wendet sich ab. In ihren Augen hat sie Tränen.
Einmal mehr verblüfft mich, wie die Emotionen sie nach wie vor einholen, wie jeder neue Kranke, jeder neue Tod, jedes neue Schicksal sie berührt.
«Kein Geld», sagt jetzt die Mutter, «ich habe doch kein Geld!»
Lotti beruhigt sich wieder und sagt beschwichtigend: «Schon gut, aber vergessen Sie nie mehr, dass Sie hier bei uns kein Geld brauchen.»
«Sie machen meinen Sohn gesund, ohne dass ich zahlen muss?»
Das Staunen der Mutter wäre wohl nicht grösser, wenn es hier in fünf Sekunden zu schneien begänne.
Wir helfen Dieu-Donné ins Auto. Auf der Fahrt zum Sterbespital öffne ich die Fenster. Nicht weil ich will, sondern weil ich muss! Während Lotti dem gut Neunjährigen aus dem Auto hilft, suche ich Ange und bitte ihn, eine Matratze zu holen. Es hat keine mehr, also bringt er eine Matte. Zehn Minuten später ist Dieu-Donné an einer Antibiotika-Infusion angeschlossen und bekommt Schmerzmittel. Die Mutter weicht keinen Fingerbreit von seiner Seite. Lotti erklärt mir auf meine Frage, ob man den Zahn nicht ziehen müsse, dass dies im Moment nicht möglich sei.
«Zuerst muss die Infektion abheilen, und dann müssen wir ihn testen. Ist er positiv, hat er keine Chance.»
Ich wende mich ab, wünsche Alphonse, der mit seinem Radio über die Kurzwellen des Äthers surft, einen guten Morgen, gehe dann zu Émilie und stolpere dabei um ein Haar über eine Frau, die auf einer Matratze ihr Baby wickelt. Gestern waren weder die Matratze noch das Baby, noch die Frau da. Als ich mich über das Bündel beuge, sagt die Mutter: «Sie heisst Maeve.»
Der Name ist so schön wie das Baby selbst. Ich schlage ihn zu Hause im Vornamen-Lexikon nach, finde heraus, dass es eine irische Königin mit diesem Namen gab.
Maeve ist – wie mir Geneviève, ihre Mutter, erzählt – das Jüngste ihrer drei Kinder. Und positiv. Sie habe darauf verzichtet, die Kleine zu stillen und sei deshalb umso enttäuschter, dass Maeve ganz offensichtlich nicht die Kraft zum Leben aufbringe.
«Seit sie Fieber hat, trinkt sie nicht mehr, und sie weint viel. Vor allem in der Nacht.»
Ich lasse die beiden alleine, nähere mich – sehr, sehr vorsichtig – Émilie und bin ehrlich gesagt erleichtert,
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