Madame Zhou und der Fahrradfriseur
herausschlurft und sie nicht sofort wieder schließt, kann ich kurz in das Innere des quadratischenHofes schauen. An den Wänden lehnen viele Fahrräder, ansonsten türmen sich wie an der Dorfstraße leere Farbeimer, Pappkartons, defekte Kühlschränke und Holzstiegen. Die Frau bemerkt meine Neugier, schließt die Tür sehr schnell, und ich tröste mich mit der Feststellung, dass ich nicht schon an meinem zweiten Tag in Peking alles sehen, alles hören, alles riechen, alles schmecken und alles begreifen muss. Nicht das Essen im Dorfrestaurant und auch nicht das Innere der Hofhäuser in einem Hutong. Später, denke ich, später. Heute möchte ich mir nur noch im Gemüseladen des Dorfes frisches Obst kaufen.
Das Geschäft ist nicht viel breiter als die Eingangstür. In dem langen schlauchförmigen Gang stehen die Kisten mit Gemüse und Früchten schräg an der Wand, und am Ende sitzt der Händler mit Waage und Taschenrechner. Ich bitte die Werbemanagerin, meine Wünsche ins Chinesische zu übersetzen. Sie schüttelt den Kopf. »Ich spreche nur Deutsch und Englisch.«
Ich fülle mir Mandarinen, Bananen, Birnen, Äpfel, Erdbeeren, Weintrauben und Ingwer in Tüten. Und der Händler bedeutetmir wiederum mit Zeichensprache stolz, dass alles, was er verkauft, auchim November noch in China geerntet worden ist.
Nur wenige Schritte neben seinem Laden steht an einem Haus unter den chinesischen Schriftzeichen in Großbuchstaben »SEXSHOP«. Die Tür ist mit einer Kette verschlossen und das Schaufenster mit Brettern vernagelt.
Zu Hause erklärt Klaus, dass Sexshops in Peking inzwischen nichts Ungewohntes sind. Korrekt heißen sie »Geschäft mit Waren für Erwachsene zur Erhaltung der Gesundheit«.
Die polizeiliche Anmeldung konnte er problemlos erledigen. Kein Beamter hat gefragt, weshalb ich länger als 30 Tage (das Limit für Touristen) in China bleiben werde.
Wir reparieren das in der Nacht zusammengebrochene Bett, und ich frage Klaus, ob es stimmt, dass ein Kindergartenplatz in Peking monatlich bis 700 Euro kosten kann. Er nickt. In den kommunalen chinesischen Kindergärten bezahlt man nur50 Euro. Doch auch diese Summe können die Wanderarbeiter aus den Dörfern, die Straßenkehrer, die Wachleute in den Compounds, Bürohochhäusern und Tiefgaragen, die Maurer, Kellner, Köche und Ayis nicht bezahlen. Deshalb lassen sie ihre Kinder meist bei den Großeltern im Dorf zurück.
»Es gibt in Peking allerdings auch Straßenkinder, die nicht, wie es in China üblich ist, von den Verwandten großgezogen werden. Die Eltern dieser Kinder sind hingerichtet oder sitzen wegen schwerer Verbrechen lebenslänglich im Gefängnis. Kein Verwandter kümmert sich um diese, der Familie Schande bringenden sogenannten ›Mörderkinder‹.«
Inzwischen haben sozial engagierte Menschen in verschiedenen chinesischen Städten für diese Straßenkinder privat finanzierte Wohngemeinschaften aufgebaut. »Wenn du am Wochenende mit uns zum Silber-Pagodenwald in die Berge fahren willst, kommen wir an solch einem Heim vorbei. Du kannst es fotografieren.«
Ich hoffe, dass ich Klaus überzeugen werde, das Heim nicht nur von außen zu fotografieren, sondern mit mir hineinzugehen.
Für die Geburtstagsparty am Abend kaufen wir in einer Markthalle, in der es außer farbigen Papierdrachen, Keramikvasen und Ampelbildern auch alle erdenklichen Arten von Blumen gibt, einen Weihnachtsstern und einen Topf mit Orchideen. Zwar gehen wir zur Geburtstagsfeier einer Chinesin, aber weil ihr Mann ein Leipziger ist, nimmt Klaus an, dass es ein deutsches Grillfest mit Bratwürsten, Schweinshaxen und Schaschlik wird. Nach dem irischen Pub und dem chinesischen Restaurant nun eine deutsche Grillparty! Ich hoffe, dass ich in Peking nicht nur die verschiedenen Lokale erkunden werde, und Klaus verspricht, mich in der kommenden Woche in ein 500 Kilometer entferntes chinesisches Wälzlagerwerk mitzunehmen.
Frank, ein waschechter Leipziger Sachse, wohnt mit seinerchinesischen Lebensgefährtin, einem Sohn und einem Hund auch im Compound. Im Garten hat er ein mit Strahlern beheiztes Bierzelt aufgebaut. Davor steht ein Imbisswagen mit Gläsern, Flaschen, Tellern, Besteck und einem Rost. Auf ihm grillt Frank, ein kräftiger, vielleicht 40-jähriger Mann, wie es Klaus vorausgesehen hat.
Ich drücke dem Leipziger als Mitbringsel einen kleinen Thüringer Taschenrutscher in die Hand und sage: »Ein Gruß aus der Heimat.«
Er greift lachend hinter sich, holt eine Flasche »Wilthener
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