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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Landolf Scherzer
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Sportspielen, an denen auch viele chinesische Olympiasieger teilnahmen, verfolgten manchmal nur 1000 Besucher die Wettkämpfe im Stadion. Heute steht die Anlage oft leer. Selbst zum Fußball kommen kaum mehr als 5000.«
    Aber Maradona ist hier gewesen. Man hat ihm das Fußballstadion gezeigt, und er war begeistert.
    »Leider kam Maradona nicht als Sportmanager, sondern als Geschäftsmann nach Jinan.«
    In welcher Branche weiß der Fahrer nicht. Auch nicht, wie viele Milliarden Yuan der Bau der imposanten Sportanlage gekostet hat.
    Wir fahren durch Straßen der Schönheit. Hunderte Meter lange Plakatwände verdecken nicht nur den Häuserabriss dahinter, sondern werben mit halbnackten attraktiven Chinesinnen auch für die neuen Symbole des Lebens: Autos, Antifaltencremes, Villen, Edelsteine, Pools, Parfüms …
    Unvermittelt erzählt Herr Wu Ming von seinen zwei Söhnen. Sie sind Unternehmer im Gaststätten- und Cateringgewerbe und in der Immobilienbranche. »Jeder besitzt ein Auto, eine schöne Frau, ein großes Haus in den Außenbezirkenvon Peking. Und sie rauchen und trinken. Sie haben all das, was das Leben angeblich schön macht. Nur kein Kind. Sie haben mir noch nicht einen Enkel geschenkt. Ich müsste sie zur Besinnung zum Abt schicken.«
    Auch auf dem Bahnhof von Jinan werden zuerst die Tickets kontrolliert und danach die Passagiere durch das Sicherheitstor geschleust. Doch wahrscheinlich kontrollieren weder die Beamten noch die Technik sehr gründlich. Man findet mein Messer nicht, und im Warteraum, den nur Billettbesitzer betreten dürfen, läuft eine junge Frau, die mit leicht gebeugter Haltung ein kleines Kind an der Hand hinter sich herzieht, durch die Reihen der Fahrgäste. Sie spricht jeden an, bittet um Geld. Das Kind hält einen roten Beutel für die Münzen und die Frau ihre Hand für Yuan-Scheine auf. Ich sehe niemand, der keinen Schein dazulegt und frage Kuni, ob die Mutter um Geld für ihr Kind bittet.
    »Nein, sie lebt wahrscheinlich vom Betteln.«
    Als sie zu uns kommt, sagt unser Nachbar: »Frau, das machst du nicht recht. Wie soll sich dein Kind später im Leben zurechtfinden, wenn es sieht, wie du hier bettelst, obwohl du zwei gesunde Hände zum Arbeiten hast.« Er sagt es und gibt ihr 5 Yuan. Kuni schenkt dem Kind drei pflaumenähnliche Früchte. Das versucht die Früchte in das Münzsäckchen zu stecken. Aber sie sind zu groß. Da reicht sie sie der Mutter. Die aber hält in der einen Hand ihr Bündel Geldscheine und mit der anderen das Kind. Also legt das Kind die Früchte auf einen leeren Stuhl.
    Neben Kuni ist der Platz frei. Ich verzichte auf 14.4., nicht nur weil die Vier wirklich eine schlechte chinesische Zahl zu sein scheint, und setze mich zu ihr.
    Der Zug rast mit 230 km/h durch China. Die blau, grün oder rot gestrichenen Blechdächer der Wohnhütten und der ebenso niedrigen Fabrikhallen sind nicht zu unterscheiden. Sie vereinen sich, weil sie weder von einem Weg, geschweigedenn von Grün getrennt werden, zu einem kilometerlangen Puzzle von kleinen und großen Quadraten. Manchmal endet dieses Puzzle abrupt, und danach beginnt übergangslos die Fläche des Abrisses: Schutt und Trümmer, Balken und Ziegel.
    Ohne dass ein Bahnhof in Sicht ist, drosselt der Zug das Tempo plötzlich auf 30 km/h. Rechts und links der Gleise hat man die Erde zu tiefen Schluchten aufgerissen und daneben zu einem Gebirge aufgetürmt. Schlucht und Gipfel werden durch sich in Kurven schlängelnde Trassen verbunden. Hochbeladene Kipper und schwankende Bagger kriechen auf der einen Seite hinauf und donnern dann, den Staub zu dichten Wolken wirbelnd, auf der anderen Seite hinunter. Menschen sind in all dem Dreck nur sehr klein und undeutlich zu erkennen. Zwischen kilometerlangem Eisengeflecht schleppen einige Eimer mit Wasser die unwegsamsten Hänge hinauf und verwandeln sich in die Treidler, die auf Repins Gemälde die Schiffe über die unpassierbaren Stellen der Wolga stromaufwärts ziehen. Als der Zug fast nur noch im Schritt fährt, können einige der Arbeiter aus dem Dreck der gigantischen Baustelle fast auf Augenhöhe in den komfortablen Zug schauen. Ich starre auf meine Schuhe.
    Als die Gleise zehnfach nebeneinander laufen und einzelne Fabrikhallen mit dem Namen »Silberner Drache« auftauchen, rast der Zug wieder mit über 200 km/h in Richtung Peking. Und lässt alles andere sehr schnell zurück. Auch das Dorf, das an den Rändern schon von den Baggern angefressen ist und in dessen Mitte an einem Haus

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