Madame Zhou und der Fahrradfriseur
meinen Fragen. Aber sie dolmetscht dafür in der nächsten Woche noch einmal für mich, damit ich die Ayi bei Klaus und den salutierenden Wachjungen befragen und mir beim Fahrradfriseur die Haare schneiden lassen kann. Damit ist sie einverstanden.
Es sei gut, meint sie, wenn ich versuchen würde, mir auch in der »deutschen Kolonie von Peking« ein Bild über China zu machen. »Erinnern Sie sich an einen der kleinen Seen im Baotu Spring Park in Jinan? Seine Wasserfläche war vollständig von schwimmenden Blättern bedeckt. Wenn ein Blatt in einen See fällt, in dem es nur allein schwimmt, geht es bald unter. Aber in einem schon vollständig mit Blättern bedeckten See hält ein Blatt das andere.«
So ähnlich sei es mit ihren Freunden, den Deutschen in Peking.
»Doch manchmal schwimmen in dem See, in dem sie sich ausbreiten und einander festhalten, chinesische Goldfische,die Kinder der Drachen und des Reichtums, die den Blätterteppich zerstören.« Und scheinbar zusammenhangslos fragt Kuni, ob ein Arbeiter, der in Deutschland 1200 Euro verdient, reich ist.
Ich schüttele mit dem Kopf.
»Und könnte er sich von dem Geld eine Haushälterin, einen Gärtner, vielleicht sogar einen Fahrer und jeden Abend mit der Frau ein Essen im Restaurant leisten?«
Ich schüttele wieder den Kopf.
Da schlussfolgert sie: »Ein armer Deutscher in Deutschland ist ein reicher Deutscher in China.«
Ich krame die Apfelsine, die uns der Abt geschenkt hat, aus meiner Reisetasche und will sie mit Kuni teilen. Doch die Apfelsine ist inzwischen verschimmelt.
Herr Wu Ming bringt uns einen Nescafé und nimmt nun auch von meinen Schokoplätzchen.
Beim Abschied wiederholt er seinen Rat, dass ich, um die Chinesen zu begreifen, nicht nur mit Chinesen, sondern auch mit Deutschen sprechen muss. Er bedankt sich für unsere guten Gespräche in den letzten Tagen. Doch wenn er den Abt das nächste Mal besucht, will er allein zu ihm fahren. »Schließlich bin ich fast 70. Und es wird Zeit, bei dem Abt im taoistischen Kloster in aller Ruhe über das Leben nachzudenken.«
Ich sage Herrn Wu Ming nicht, dass ich, wenn ich an den Abt denke, bezweifle, dass er dort Stille finden wird. Und bitte ihn, dass ich ihn in den nächsten Wochen noch einmal in Peking treffen kann.
Wir umarmen uns zum Abschied nicht, sondern reichen uns nur die Hände.
Kuni gebe ich einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Sie errötet und lächelt.
SPICKZETTEL (9)
Luisa V. R., Berufswunsch: Ärztin oder Diplomatin
Ich habe sehr viele Wünsche für meine Zukunft, unter anderem, dass Menschen meine Arbeit und mein Wesen nicht verurteilen. Außerdem, dass Menschen sich mehr um ihre Umwelt sorgen. Mein größter Wunsch jedoch ist, dass meine Eltern es erleben können, dass ich selbst Kinder habe und diese zu gescheiten Kindern aufwachsen.
Für China wünsche ich sozial bewusste und die Natur schützende Menschen, die nicht von Gier und Wettbewerb zerfressen werden.
Wenn ich hier an Deutschland denke, vermisse ich nur dessen Kopfsteinpflaster, Freibäder, Eisdielen, Pommes in Tüten und deutsches Radio. Wenn ich in Deutschland an China denke, so vermisse ich die chinesischen Menschen, deren Mentalität und meine Geborgenheit in diesem Land.
Markus K., Berufswunsch: Astrophysiker oder Psychologe
Ich möchte auf jeden Fall später wieder in China leben, denn es ist ein tolles Land, es gibt hier interessante, offene Menschen und jeden Tag etwas Neues zu entdecken.
China wünsche ich, dass es die Verschmutzung in den Griff bekommt, dass es sich gegen den Westen hin noch mehr öffnet, dass die Menschen immer ein Leben frei von Angst führen können und dass die Chinesen niemals ihre wundervolle Lebenslust verlieren.
Wenn ich an Deutschland denke, fehlt mir hier überhaupt nichts.
Ich wüsste auch keinen Grund, weshalb ich eine Chinesin nicht heiraten sollte. Chinesinnen können süß sein und auch hilfsbereit. Das habe ich am Beispiel des Vaters meiner Freundin gesehen. Er hat eine neue Frau, eine Chinesin, und sie hat ihm sehr oft bei der Verständigung geholfen. Aber ich möchte nicht weiter über das Thema reden, ich habe schon eine Freundin, und deshalb kann ich wohl nicht frei darüber reden.
Das Alpaca-Pferd
ODER:
He xie ru he zheng fu zhong guo hu lian wang – Wie die Flusskrebse das chinesische Internet erobern
Das Wiedereingewöhnen in Peking fällt mir nicht schwer. Im »Schillers« sitzen nach Feierabend wieder dieselben Leute. Die Schalen mit Erdnüssen werden
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