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Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)

Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)

Titel: Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Kacvinsky
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Sekunde zur nächsten bewegte. Ich durfte keine Minute in die Zukunft denken, sonst würde die Angst zuschlagen. Und dann hatte das Center gewonnen. Ich musste in der Gegenwart bleiben. Nur dort war ich halbwegs sicher.
    Ich zog meine Unterwäsche aus, faltete alles zusammen und legte das Bündel auf den Waschbeckenrand neben ein Zahnputzglas. Über der Tür befand sich ein Kleiderhaken aus Metall, wo ich die Anstaltskleidung und das Handtuch aufhängte. Dann stand ich nackt in dem engen Raum und starrte auf den Duschkopf. Ich musste an Dokumentarfotos aus Konzentrationslagern denken. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich mir einbilden, dass ich in einer Gaskammer war.
    Meine Zähne begannen zu klappern. Der Linoleumboden unter meinen nackten Füßen war eiskalt. Aber schlimmer war die Atmosphäre in diesem Gebäude. Ich fühlte mich, als würde ich durch eine endlose Leere fallen. Das Vakuum schien jedes bisschen Hoffnung aus mir herauszusaugen.
    Hastig setzte ich mich in Bewegung. Ich stellte die Dusche an und ein scharfer Strahl traf mich. An der Wand waren zwei Behälter mit den Aufschriften Seife und Shampoo befestigt. Ich stellte die Temperatur hoch, bis das Wasser mich fast verbrühte. Hauptsache, die Wärme kehrte in meinen Körper zurück. Das brennende Gefühl auf meiner Haut war mir willkommen, aber meine Füße wollten sich nicht aufwärmen lassen. Durch einen Luftschacht in der Decke wurde ein eisiger Hauch auf mich heruntergeblasen, gegen den der schmale Wasserstrahl nicht ankam. Als ich fertig war, zitterte ich noch mehr als vorher. Die Anstaltsuniform fühlte sich papierdünn an und machte kaum einen Unterschied.
    Ich verließ das Bad und gab der Aufseherin meine alte Kleidung. Sie trug kein Namensschild und schien auch kaum der Typ zu sein, mit dem man eine persönliche Beziehung aufbauen konnte. Aber sicher musste es hier Ansprechpersonen geben. Wie sollten wir etwas lernen, wenn man nicht mit uns interagierte? Die Frau stopfte meine Kleidung in eine gelbe Plastiktasche mit der roten Nummer 415 und öffnete eine Klappe mit dem Aufdruck Wäscherei . Dahinter lag ein Schacht, der so eng war, dass sie die Tasche mit Gewalt hineinquetschen musste.
    Ich folgte ihr einen schmalen Gang entlang. Die Beleuchtung bestand aus einem Diodenstreifen, der wie eine elektrische Ader in der Mitte der Decke verlief. Alle Türen, an denen wir vorbeikamen, waren geschlossen. Ich versuchte, ein Gefühl für die Bewohner des Gebäudes zu bekommen, traf aber nur auf Wände. Die Aufseherin ließ mich wissen, dass alle Räume schallisoliert waren, damit die Schüler ungestört blieben. Ungestört und möglichst unsichtbar , dachte ich.
    Ich schlurfte hinter ihr her. Meine Sandalen waren ein Stück zu groß, und ich konnte die Füße nicht heben, ohne sie fast zu verlieren. In meiner grünen Papierkleidung kam ich mir vor wie eine Patientin in der Irrenanstalt. Vielleicht war genau das beabsichtigt. Wir sollten uns fühlen, als seien wir krank und müssten geheilt werden. In unseren gleichförmigen Uniformen waren wir nicht länger als Individuen zu erkennen. Das Center wollte uns von unserem vorherigen Leben abschneiden und zu einem Neustart zwingen. Als würde man einen Computer rebooten.
    Die Frau zeigte auf einen Sensor in der Decke, eine runde, schwarze Linse, die in der Mitte des Flurs auffällig hervorstand.
    »Wir nennen es das Auge«, erklärte sie. »Dieses Gerät gibt es in jedem Flur, in jeder Etage, in jedem Treppenabschnitt. Es ist verlässlicher als menschliches Wachpersonal. Das Auge blinzelt nie, es verfolgt jede deiner Bewegungen.«
    Vor Raum 415 blieb sie stehen.
    »Die Regeln sind einfach«, sagte sie. »Keine Gespräche mit anderen Schülern. Keine unnötigen Spaziergänge im Flur. Halte dich so selten wie möglich außerhalb deines Zimmers auf.«
    »Was passiert, wenn ich die Regeln breche?«, fragte ich.
    Sie hob eine Augenbraue. »Das Auge sieht alles. Die Zuständigen werden davon erfahren. Glaub mir, hier macht niemand denselben Fehler zweimal.«
    Sie öffnete die Tür und ich folgte ihr nach drinnen.
    »Dein Zimmer verriegelt sich automatisch zwischen zehn Uhr abends und sechs Uhr morgens. Wenn du es nachts verlassen willst, musst du das Wachpersonal rufen. Und dafür solltest du besser einen guten Grund haben. Bei uns herrscht Zucht und Ordnung, und wir mögen es nicht, wenn man unsere Abläufe durcheinanderbringt.«
    Der Raum ähnelte meiner Vorstellung von einem Wohnheimzimmer. Er war klein und

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