Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
sofort in den Besitz des Centers übergegangen. Vermutlich las in diesem Moment jemand mit. Ich versuchte, die Absätze wieder zu löschen, aber sie blieben an den Wänden kleben. Hilflos fuhr ich mit der Hand darüber, als könne ich sie wegwischen.
In diesem Augenblick verstand ich, dass mir das Center tatsächlich alles nehmen konnte. Selbst meine Gedanken. Hier drinnen sollten wir nicht nachdenken. Wir sollten uns nicht erinnern. Wir sollten nur unser Gehirn abschalten.
An der Tür klopfte es, und als ich öffnete, stand mir der Junge vom Essraum gegenüber. In den Armen trug er einen Stapel Bettlaken und Kleidung, der ihm bis zum Kinn reichte.
Er kam herein und stopfte alles auf ein einziges Regalbrett im Schrank. Dann schaute er sich um. »Wow«, sagte er und starrte auf die Wände voller Worte. »Das ist ja ein ganzer Roman.«
»Ich denke zu viel«, gab ich zu.
»Tja, davon werden sie dich hier kurieren«, sagte er.
Ich betrachtete die Wandschirme. »Weißt du, ich vergesse immer wieder, dass ich gar nicht zu denken brauche. Schließlich machen die Computer das für mich. Wenn man selbst zu denken anfängt, bringt man sich nur in Schwierigkeiten.«
Er musterte mich neugierig. »Du bist Madeline Freeman, oder?«, fragte er.
Ich bestätigte seine Vermutung mit einem Nicken. »Wieso siehst du so überrascht aus?«
»Weil wir sonst nie wissen, wer die Schüler sind und wie sie heißen«, erklärte er. »Die Aufseher und Ärzte benutzen nur Nummern. Und du bist die Erste, die ich von selbst erkannt habe.« Er neigte den Kopf. »Dein Vater hat doch genug Beziehungen. Kann er dich nicht hier rausholen?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich schlicht und schaute mich um. »Obwohl ich schon eine Penthouse-Suite erwartet hatte. Na ja, wenigstens habe ich Zimmerservice.«
Er starrte mich an, als würde ich in einer unbekannten Sprache reden. Oder vielleicht war er es nicht gewohnt, dass Leute hier einen Sinn für Humor hatten. Er räusperte sich.
»Äh, eigentlich sollten wir nicht mit den Patienten sprechen«, stammelte er, als wolle er sich selbst zur Ordnung rufen. »Deshalb erfahren wir auch keine Namen. Die oberste Regel lautet: kein persönlicher Kontakt.«
Am liebsten hätte ich gefragt, ob die oberste Regel nicht eher lautete, uns wie Objekte statt Menschen zu behandeln. Aber da winkte er mich schon aus der Tür und marschierte vor mir her zum Fahrstuhl. In der Mitte des Flurs schaute ich zu der schwarzen Linse hoch und stellte mir gelbe Augen vor, die ohne zu blinzeln auf mich herabstarrten.
Der Junge hielt seine ID -Karte vor den Scanner und die Fahrstuhltür öffnete sich. Ich betrat die Kabine und lehnte mich an die Metallwand. Erst als die Karte ein zweites Mal gescannt worden war und er noch dazu eine Reihe Programmcodes eingetippt hatte, setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung. Der Junge starrte interessiert auf seine Schuhe und wich meinem Blick aus, als täte es ihm bereits leid, dass er nett zu mir gewesen war. Aber so leicht gab ich nicht auf.
»Hm, dieses Hochsicherheitsding kann ich wohl nicht zum Ausbrechen benutzen«, meinte ich.
»Eher nicht«, stimmte er zu.
Ich tippte mir nachdenklich ans Kinn. »Okay, Fenster gibt es auch keine, soweit ich sehen konnte. Aber immerhin ein Treppenhaus. Das ist vielleicht meine beste Chance. Oder die Luftschächte … Schließlich benutzen sie die immer in Actionfilmen.«
Er schaute zu mir auf und bemühte sich um ein ungerührtes Pokerface. »Glaubst du wirklich, ich gebe dir Tipps, wie du ausbrechen kannst?«, fragte er und musterte mich ein paar Sekunden, als müsse er entscheiden, ob ich Witze machte oder einfach nur verrückt war. Ich wusste selbst nicht recht, woher ich die Nerven nahm, so mit einem Mitarbeiter des Centers zu sprechen.
»Sorry«, sagte ich und erklärte, dass ich einfach genug davon hatte, den ganze Tag herumkommandiert zu werden. »Ich habe eine niedrige Toleranzschwelle, was Regeln angeht.«
»Und jetzt siehst du, wohin dich das gebracht hat«, stellte er fest.
Ich zuckte mit den Schultern. Er hatte recht, tiefer konnte eine Person gar nicht sinken. Ich war der größte Loser der Welt. Andererseits … wenn man schon am Boden lag, konnte es nur wieder aufwärts gehen.
»Wie heißt du?«, fragte ich versuchsweise.
»Nur die Therapeuten dürfen Namen benutzen«, ließ er mich wissen. »Und Gespräche werden nicht gern gesehen.«
»Schade«, sagte ich und schaute auf die Fahrstuhltüren. »Das kann
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