Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
verschwiegen gaben.
Gabe saß am einen Ende des Balkons und ich am anderen. So viel Nähe konnte ich gerade noch ertragen. Ich rollte die Beine meiner Hose hoch, damit die Sonne mir auf die Haut scheinen konnte. »Na ja, als Beziehung würde ich es nicht unbedingt bezeichnen. Justin ist ein bisschen zurückhaltender als der Durchschnitt.«
»Kann man ihm kaum verübeln. Wenn man bedenkt, was beim letzten Mal passiert ist …«
Ich hob die Augenbrauen. »Beim letzten Mal?«
»Du weißt schon. Mit seiner Freundin, Kristin Locke.«
Dieser beiläufige Satz warf mich fast um. Sorgfältig setzte ich meinen Kaffeebecher ab und starrte ihn an. »Wer ist Kristin Locke ?« Und wieso weißt du mehr über Justins Liebesleben als ich?
Er starrte überrascht zurück. »Du hast noch nie von ihr gehört? Nicht zu fassen. Und von deinen Freunden hat dir auch keiner was erzählt?«
Er wirkte regelrecht schockiert, als sei ihm gerade klar geworden, dass mir das wichtigste Puzzlestück fehlte und ich Justin die ganze Zeit nicht wirklich gekannt hatte. Ich richtete mich im Sitzen auf und durchbohrte ihn mit Blicken.
»Was sollen sie mir erzählt haben?« Während ich auf eine Erklärung wartete, wirbelten tausend Vermutungen durch meinen Kopf. War Kristin Locke die Liebe seines Lebens? Hatte sie ihm das Herz gebrochen? War sie mit seinem Kind durchgebrannt? »Wovon redest du, Gabe?«, wollte ich wissen.
»Vielleicht stimmt es gar nicht«, bot er als Ausweg an, wandte den Blick ab und tat so, als hätte er etwas Faszinierendes am Horizont entdeckt.
Ich verschränkte die Arme über der Brust. »Rück schon damit raus.«
Er holte tief Luft. »Kristin Locke ist vor ein paar Jahren bei einer Protestaktion gestorben. Justin hat sie ausgebildet und es wird behauptet, dass die beiden ein Paar waren. Aber sicher weiß ich das nicht.«
»Sie ist gestorben?«, fragte ich. »Was ist passiert?«
»Eigentlich sollte es eine friedliche Demonstration werden. In Idaho hatte die Stadtverwaltung von Boise beschlossen, ein Umerziehungscenter zu bauen, und dagegen gab es Proteste. Die Demonstranten wollten nur Unterschriften sammeln und die Medien aufmerksam machen, also kein großes Event. Aber dann ist vor dem Gericht eine Bombe explodiert. Kristin Locke war das einzige Todesopfer.«
Gabe sagte, er könne sich noch an die Bilder in den Nachrichten erinnern. »Jemand hat einen Sprengkörper unter den Stufen der Eingangstreppe versteckt. Die Polizei ging davon aus, dass es sich um einen versuchten Anschlag auf Richard Vaughn handelte, den Erfinder der Center. Er wollte dort später am Nachmittag eine Rede halten, aber der Zeitzünder der Bombe ist zu früh losgegangen. Eigentlich weiß ich das nur noch, weil es unter den Rebellen danach die Regel gab, keine Waffen zu Protesten mitzubringen. Diesen Ehrenkodex hat eine Gruppe durchgesetzt, die sich ›Locke Down‹ nannte. Ihr Slogan war: ›Wir kämpfen mit Worten, nicht mit Waffen‹.«
Ich nickte, denn von der Locke Down-Gruppe hatte ich schon gehört. Sie hatten eine Friedensbewegung bei den Anti- DS -Aktivisten in Gang gebracht, deren Grundsatz lautete: Wer nicht bewaffnet ist, kann auch nicht den ersten Schuss abgeben. Mein Vater hatte einmal davon gesprochen. Nur den Hintergrund hatte ich bisher nicht gekannt. Aber so ist es ja meistens bei Geschichten. Das Ende einer Story ist der Anfang der nächsten.
Plötzlich ergaben viele Bruchstücke für mich einen Sinn: Wieso Justin sich so sehr darum bemühte, dass die Proteste friedlich blieben. Wieso er mir gegenüber oft übertrieben beschützerisch war. Wieso er keine Pläne für die Zukunft machte, sondern entschlossen war, im Hier und Jetzt zu leben. Er selbst behauptete, das läge an seinen Eltern und seiner Erziehung, aber ich hatte schon länger den Verdacht gehabt, dass mehr dahintersteckte. Er warf sich mit so viel Herzblut in den Kampf gegen das DS -System, dass es einem persönlichen Rachefeldzug nahe kam. Jetzt kannte ich den Grund.
Ich merkte, dass ich die Hände zu Fäusten geballt hatte. Warum hatte mir Justin nie davon erzählt? Vertraute er mir so wenig? Er hatte mir immer gepredigt, dass man seine Gefühle und Gedanken nicht zurückhalten sollte, weil der Druck sonst irgendwann zu stark wurde und man daran zerbrach. Glaubte er, dass er selbst immer der heldenhafte Kämpfer sein musste und sich Trauer nicht erlauben durfte?
»Bestimmt hätte er dir irgendwann davon erzählt«, sagte Gabe beschwichtigend.
Ich nickte,
Weitere Kostenlose Bücher