Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
fühlte mich aber nur müde. Meine Gedanken schleppten sich dahin und mein Herz war schwer. Ich wollte für Justin da sein, aber wie soll man jemandem helfen, der niemanden an sich heranlässt und niemanden braucht? Genauso gut könnte man versuchen, eine glatte Wand hochzuklettern, obwohl man von oben kein Seil zugeworfen bekommt. Man rutscht immer wieder herunter, bis man irgendwann keine Energie mehr hat und alles nur noch schmerzt: die Muskeln, der Kopf und das Herz.
Um Mitternacht nahmen Gabe und ich den Fahrstuhl nach unten in die Kelleretage. Ich hatte mich geduscht und frische Kleidung angezogen, fühlte mich aber immer noch wie zerschlagen. Vom Schlafmangel hatte ich dunkle Schatten unter den Augen. Meine Haare hatte ich achtlos zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und die Anstaltskleidung schlotterte mir um die dürren Glieder. Ein Teil von mir hätte die Begegnung mit Justin lieber vermieden. Ich war erschöpft, nervös und sah aus wie ein Drogenjunkie auf Entzug, was mein Selbstbewusstsein nicht gerade steigerte.
Gabe öffnete die Tür zum U-Bahn-Tunnel und drückte mir eine Taschenlampe in die Hand.
»Soll ich dich den Rest des Weges begleiten?«
Ich sagte, dass ich schon zurechtkommen würde. Gabe nickte und erklärte, dass er den Fahrstuhl darauf programmiert hatte, mich zurück zu meinem Flur zu bringen. Dann schloss er die Tür hinter sich und ich starrte in den Tunnel, der sich wie ein dunkler Schlund vor mir auftat. In weiter Ferne sah ich einen Lichtpunkt schweben. Ich ging darauf zu. Meine Schritte hallten durch das Gewölbe. Justin wartete am Treffpunkt auf mich und hatte eine warme Jacke über dem Arm hängen. Er selbst trug eine schwarze Wollmütze und eine Daunenweste über dem Pulli. Ich blieb ein paar Schritte vor ihm stehen. Er reichte mir mit ausgestrecktem Arm die Winterjacke.
»Die gehört Clare«, sagte er. »Hier unten ist es ein bisschen kalt.«
Ich schlüpfte in die Ärmel und vermied seinen Blick.
Er trat einen Schritt näher, um zu sehen, wie ich reagieren würde. Statt des erwarteten Panikanfalls spürte ich eine warme Energie in meiner Brust aufwallen. Das Verlangen nach Justin war immer noch da. Er streckte die Hand aus und fuhr vorsichtig mit dem Finger über meinen Handrücken, sodass ich jederzeit zurückzucken konnte, falls es zu viel wurde. Wir waren beide erleichtert, als nichts passierte. Endlich schaute ich zu ihm hoch. Ein paar Sekunden standen wir voreinander und sahen uns nur an.
»Keine Sorge«, sagte ich schließlich. »Dieses Mal werde ich nicht umkippen. Obwohl du es wahrscheinlich gewohnt bist, dass Mädchen dir ohnmächtig in die Arme fallen.«
Er grinste. »Freut mich, dass dein Sarkasmus nicht gelitten hat.«
Dann griff er nach meiner Hand und seine Finger verwoben sich mit meinen. Seine Haut fühlte sich so warm an. Ich schob alle anderen Gedanken fort und konzentrierte mich nur auf die knisternde Energie seiner Berührung. Er lehnte sich näher heran, hob meine Hand und betrachtete sie im schwachen Schein seiner Taschenlampe. Langsam nahm ich ihn wirklich wahr. Ich sah das widerspenstige Haar, das um die Ohren herum unter der Mütze hervorquoll, und seinen aufmerksamen Blick, dem nichts entging. Ich spürte die Festigkeit seiner Hand. Ich begann zu erwachen. Seine Haut war rau, als er damit über meine Knöchel fuhr. Dann küsste er jede meiner Fingerspitzen einzeln. All die Ängste, die ich im Center angesammelt hatte, verflüchtigten sich wie Nebel. Er ließ meine Hand sinken und sein Blick wurde ruhiger.
»Komm«, sagte er. »Lass uns für eine Weile verschwinden.«
Ich fragte, wohin.
Er nickte in Richtung des Tunnelgangs. »Wirst du gleich sehen.«
Ich musste an Kristin Locke denken und es fiel mir schwer, den Gedanken an sie abzuschütteln. Sie war wie eine unsichtbare Präsenz, die uns nun auf Schritt und Tritt folgte. Noch immer war ich verstört, weil Justin so etwas Entscheidendes in sich begrub, ohne darüber zu reden. Mir war klar, dass ich das Thema anschneiden musste. Aber nicht heute Nacht. Heute wollte ich mich wieder einmal leicht und sorglos fühlen. Ich wollte schweben.
Der Tunnel führte stetig nach oben, bis wir plötzlich weichen Erdboden unter den Füßen hatten und sich die Betondecke in die Weite des Himmels verwandelte. Ein leichter Wind wehte und ich hob die Hand, um ihn besser spüren zu können. Die Brise umspielte meine Fingerspitzen wie ein wehender Vorhang, wie Blütenblätter, wie der rieselnde Sand der
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