Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
was sie aufregen könnte. Natürlich bin auch ich nicht darauf erpicht, dass sie es erfährt. Schon bevor sie krank war, neigte sie dazu, mich überzubehüten und sich bei jeder Gelegenheit Sorgen zu machen. Dabei ist mir als Kind nicht viel passiert, obwohl ich so viel Sport trieb, Tanz, Stepptanz und die Majorettenparaden. Ich weià noch, dass ich mir einmal leicht den Kopf an der Balkonecke bei uns zu Hause in der Rue du Général Leclerc aufgeschlagen habe, und einmal habe ich mir das Bein gebrochen, daran kann ich mich auch erinnern. Ich war noch Teenager und wollte, um gröÃer und älter zu wirken, unbedingt Schuhe mit hohen Absätzen. Maman warnte mich, ich würde auf so hochhackigen Dingern nur fallen und mir wehtun. Doch ich wollte nichts davon hören, und sie ging mit mir ein Paar hohe Turnschuhe kaufen. Noch am selben Nachmittag stürzte ich von der Höhe meiner Absätze und brach mir das Bein!
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Maman ist in StraÃburg und macht ihre Chemotherapie, und ich bin in Paris auf meiner PR-Tour. Ich kämpfe mich müde in den Gängen des Showbiz und in denen der Krankheit. Pailletten an weiÃen Wänden. Schwere Parfums mit weiÃen Duftnoten. Ich fahre hin und her, ich will bei ihr sein. Wenn ich das machte, was ich wirklich will, würde ich die ganze Zeit in ihrem Zimmer bleiben. Sie beschimpft mich, schüttelt mich. Ich will sie nicht verlassen, ich will da sein und ihre Hand halten, wenn sie es erträgt und wenn sie es nicht mehr erträgt. Die Krankheit, die Chemo, beides. Wenn sie dasitzt mit einer Infusionsnadel in ihrer schon zerstörten Vene. Und auch wenn sie liegt, denn im Sitzen ist es schon zu beschwerlich für sie. Es dauert lange. Sie muss warten, bis die ganze Flüssigkeit aus dem Beutel in ihr Blut getropft ist. Die Flüssigkeit
ist grauenhaft, rot, radioaktiv. Sie muss bösartig aussehen, das gehört zu ihrer Aufgabe. Sie soll noch die aggressivsten Tumoren abschrecken. Tatsächlich erschreckt sie jeden, nicht nur die Tumoren. Haare und Wimpern machen sich unterwegs aus dem Staub, die Farben verstecken sich, der Appetit sucht das Weite, und die Blutplättchen verdecken sich gegenseitig, um ungesehen zu bleiben. Eine Schweinerei, um eine andere Schweinerei umzubringen. Ich dachte mir schon, dass es nicht funktionieren würde: Unter Schweinereien kommt man schlieÃlich immer zu einem faulen Kompromiss.
Die Ãrzte variieren die Behandlungsmethoden, die Medikamente, die Dosierungen, probieren aus und analysieren. Die Ergebnisse sind dann von ihren Gesichtern abzulesen, als wären es Fahr- oder Flugplantafeln: »Flug zum Tod pünktlich« oder »verspätet«. Maman hat noch einen kleinen Aufschub. Doch um welchen Preis! Schmerzgrimassen, Verrenkungen, vorübergehender Wahnsinn. Maman leidet, windet sich, beiÃt sich, wird verrückt. Sie verliert den Kopf. Manchmal gerät sie in Panik und steht auf. Sie flieht im Nachthemd aus dem Krankenhaus. Sie will zurück, mein Zimmer richten, weil ich heute nach Hause komme. Zu Hause reiÃt sie vor Schmerz die Tapete von den Wänden, bevor sie erschöpft und verzweifelt zusammenbricht. Ein Martyrium.
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Später, wenn ich andere Kranke besuche, werde ich es auch nicht besser ertragen. Der Schmerz wird mich nicht panzern, mich nicht abstumpfen. Im Hôpital Necker werde ich diese zu erwachsenen, zu bleichen Kinder in ihren zu groÃen Betten ansehen, und es wird mir schier das Herz zerreiÃen. Ich werde den Besuch bei den kleinen Kranken trotzdem zu Ende bringen, ich werde ihnen Küsschen geben und Geschenke
und lächeln. Ich werde ihnen zuzwinkern, diesen sanften, mondartigen Gesichtern. Aber innerlich werde ich zusammengebrochen sein, gesprengt von meinen Erinnerungen. Voller Verzweiflung werde ich die Hoffnung wieder sehen, die mit den Nerven der Familien spielt, und die ausweichenden Blicke der Ãrzte. Ich werde wieder die Nebenwirkungen der Chemotherapie spüren, diesen seltsamen Geruch des Desinfektionsmittels, dieses Grenzland zwischen Toten und Lebenden.
Jahre später werde ich wieder in dieses Krankenhaus kommen. Doch dieses Mal, um die schreckliche Atmosphäre zu besiegen, ich gebe ein Konzert. Für einen Augenblick katapultieren sich die kleinen Patienten, die Ãrzte und Eltern gemeinsam mit mir an einen anderen Ort, in die Welt der Musik, dem Leben entgegen.
In Wahrheit gewöhnt man sich nie an den Tod, auch nicht
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