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Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Kaas
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sämtliche Daumen. Ich warte nicht auf den Erfolg, ich fordere ihn, ich rufe ihn gebieterisch zu mir. Es wird gehen.
    Der Titel von Barbelivien und Bob Mehdi ist der richtige. Und ein Magier hat sich seiner bemächtigt und ihn verwandelt, um ihn dann in meine Kehle zu gießen. Der Arrangeur und Produzent Bernard Estardy. Dieser Herr hat in der Welt der Musik mehrere Spitznamen, man nennt ihn »der Baron«, weil er ein Aristokrat der Musik ist, ein großer Herr, oder »der Riese«, wegen seiner imponierenden Gestalt. Was er berührt, wird zu Gold. Er ist begnadet. Er sieht mich, er hört mich, er nimmt »Mademoiselle chante le blues«, korrigiert, ändert und adaptiert es für mich. Der richtige Rhythmus, die richtige Tonart, eine Mischung aus Chanson und Blues, er dringt zum Eigentlichen des Lieds vor. Dank dem Riesen mache ich es mir zu eigen. Doch so einfach ist die Geschichte nicht.
    Erstens bekommt der Riese zwar dem Lied gut, aber mir macht er Angst. Und dann kommt »Mademoiselle« beim Erscheinen im April 1987 nicht an. Die Programmleiter im Radio finden den Titel nicht kommerziell genug. Sie wollen ihn ungern senden, tun es dann aber doch unter Druck. Da die Hörer ihn mögen, geben die Sender nach und spielen »Mademoiselle« ziemlich häufig. Die Platte interessiert und macht die Runde durch alle Rundfunkanstalten. Das Lied ist überall zu hören, erreicht jeden. »Mademoiselle chante le blues« ist der Erfolg, auf den ich gewartet habe. Polydor, meine Plattenfirma, gibt mir die Verkaufszahlen der Single, und ich kann es kaum fassen. Ich erreiche die Marke von vierhunderttausend Exemplaren! Von überall her hagelt es nun Einladungen. Die Medien wollen mich vorstellen. Inzwischen wissen alle, woher ich komme, dass ich die Tochter eines Bergmanns bin,
Deutsch-Französin, und dass ich seit zehn Jahren beiderseits der Grenze singe. Mir ist klar, dass es für sie eine gute Geschichte ist, mit der sie die Menschen rühren können. Sie öffnen nicht nur meinem Talent, sondern auch meinem Schicksal die Tür.
    Ich hetze von Radio- zu Fernsehsendung. Ich habe kaum die Zeit, mich umzuziehen und mir erklären zu lassen, woran ich eigentlich teilnehme. Ich bin von einer ständigen, betäubenden Bewegung erfasst. Ich lasse mich mitziehen, denke nicht nach, kann die Einzelheiten des Strudels nicht mehr erkennen.
    Zwar raubt mir das, was mir geschieht, ein wenig die Sicht, doch ihn sehe ich noch. Ich bin sicher, dass ich diesem Mann bereits auf den Gängen in den Funkhäusern begegnet bin. Er ist groß, braunhaarig und elegant. Er wirkt reserviert. Sein Lächeln ist charmant, und ich mag es, wie er mich ansieht, mit einem Funkeln in den Augen. Er wird mir vorgestellt, er heißt Cyril Prieur und ist Manager von Erfolgsgruppen wie Niagara oder Raft mit dem Titel »Y a qu’à danser« — Tanzt einfach.
    Die wenigen Pariser, mit denen ich bislang Kontakt hatte, rufen bei mir eher Komplexe als Interesse hervor. Bei ihm ist es anders. Unsere Liebesbeziehung beginnt, und sie wird nie richtig aufhören. Rasch nimmt er einen Platz in meinem Leben und in meiner Familie ein. Mit Maman kommt er sehr gut aus. Sie hat ihm ihre Arme geöffnet, und seither verstehen sie sich ohne Worte, sie vertrauen einander. Er beruhigt sie und hilft mir in meinem immer brennenderen Schmerz.
    Man sieht es nicht auf dem Fernsehbildschirm, doch man hört es in meiner Stimme, die reifer und noch rauer geworden ist. Ich bin unglücklich wie noch nie. Jeder Tag, der vergeht,
zerreißt mich ein wenig mehr. Maman ist krank. Sehr krank. Sie leistet Widerstand, kämpft, sie überlebt, um noch ein wenig mehr zu sehen, sie will stärker sein als die Todesmaschine, die sie zermalmt, noch einen kleinen Augenblick gewinnen … Das Ende lauert in der Nähe, es ist in meiner Stimme. Mademoiselle genießt den Erfolg nicht, er ist kein Selbstzweck mehr, er ist dazu da, Maman Freude zu machen.
    Soweit ich mich zurückerinnern kann, lebe ich ein Doppelleben. Hinter dem Vorhang meines kleinen Ruhms liegt ein Schatten, der mir alles verdirbt, den Erfolg an seinen Platz verweist, seine positive Wirkung auslöscht. Das Wissen um Mamans Krankheit hat mich verändert. Endgültig. Bilder packen mich jetzt und lassen mich nicht mehr los.
    Â 
    Es ist der 5. Dezember 1987, 19.00 Uhr. Heute ist mein Geburtstag. Ich sehe mich im Spiegel und lächele.

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