Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
zugleich auch das aus, was an der Kultur am wenigsten deutsch ist; es ist ein bisschen wie in New York. Das Paradox einer Stadt, die das Land repräsentiert und zugleich im Widerspruch zu ihm steht. Die Deutschen, habe ich bemerkt, weisen für mich eine weitere Widersprüchlichkeit auf: Sie sind beruhigend und aufgekratzt zugleich. Methodisch und verrückt, streng, aber leidenschaftlich.
In dieser mir vertrauten Stadt gehe ich viel zu FuÃ. In dieser Stadt, deren Wappentier der Bär ist, stoÃe ich, die groÃe Plüschtiersammlerin, zufällig auf⦠einen Plüschbären. Ich sehe ihn in einem Schaufenster, er ist beige.
Es ist Liebe auf den ersten Blick, die albern und unerklärlich erscheinen mag. Es ist eigentlich nicht so sehr der Gegenstand, der mich interessiert, sondern vielmehr das, was ich damit vorhabe. Ich will diesen Bären nicht einem Kind
schenken, sondern meiner Mutter. Ich möchte, dass sie etwas hat, das ihr Mut macht, das ihr sagt, dass ich in ihrem Krankenhauszimmer bei ihr bin, auch wenn ich nicht da bin. Ich denke mir, dass dieser Bär sie beschützen wird. Als ich ihn in dem Berliner Geschäft kaufe, konzentriere ich meine ganze Kraft und Zärtlichkeit und Liebe darauf.
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Ja, Deutschland lässt mich nicht los.
Die Zusammenarbeit mit François Bernheim und Didier Barbelivien hat sich als fruchtbar erwiesen, es folgt also ein weiteres Lied. Ein sehr schönes, symbolisches. Diese inspirierten Texter und Komponisten schreiben für mich »DâAllemagne«, das in mir ein perfektes Echo findet. »DâAllemagne où jâai des souvenirs dâen face, où jâai des souvenirs dâenfance.« â Von Deutschland, wo ich Erinnerungen von gegenüber habe, von Deutschland, wo ich Kindheitserinnerungen habe. »DâAllemagne« ist ein groÃes, ein politisches, ein historisches Lied, es ist ein Geniestreich. Eine Hymne auf die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland. Zwischen meinen beiden Heimatländern, dem Vater- und dem Mutterland. Es vereint die beiden Seiten, die ich als Kind eines gemischten Elternpaars verkörpere, als Kind aus Forbach, aus Lothringen, das sich nie für das eine oder andere Land entscheiden konnte.
Im Osten Frankreichs hat man Komplexe wegen des Zauderns der Geschichte. Ein unangenehmer geografischer Bastardstatus, der uns zur Verzweiflung treibt. Wir kommen weder aus Deutschland noch aus Frankreich. Wir sind von der Grenze, aus Lothringen. Wir versuchen, damit glücklich zu werden. Hier haben sie jemanden, der ihre Fahne hochhält. Sie sind stolz auf mich, wie sie stolz auf ihre lokale FuÃballmannschaft sind.
Nach »Mademoiselle« wird auch »DâAllemagne« ein voller Erfolg. Dieser zweite Sieg, der das Interesse des Publikums an mir bestätigt, bewegt mich. Ich spüre die Wärme der Leute, sie tut mir gut.
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Mein gesamtes Leben hat eine jähe Wendung genommen. Meine Karriere kommt in Fahrt, und meine Mutter stirbt. Alles verändert sich schnell, geschieht schnell. Und nicht nur Gutes. Ich erleide einen Autounfall, bei dem ich mir die Nase breche. Ich bin oft zu Hause, um Maman zu besuchen, und wir Geschwister versuchen, uns gegenseitig zu unterstützen, zusammen zu sein und uns auch manchmal zu amüsieren, um Mamans Krankheit zu vergessen. Als wir aus Egons Bar kommen â¦
Ich habe alle Farbe verloren. Trotz des Gläschens, das wir in seiner Bar getrunken haben, bin ich weià wie ein Laken. Der Spiegel in der Sonnenblende ist nicht sehr schmeichelhaft. Dagegen lässt sich was tun. SchlieÃlich habe ich Rouge und Lippenstift dabei. Ich beuge mich vor, um sie aus der Tasche zu angeln, als ein sturzbetrunkener Typ bei Rot über die Kreuzung fährt. Er trifft uns mit voller Wucht, und mein Kopf knallt gegen das Armaturenbrett. Ich habe den Sicherheitsgurt nicht angelegt. Meine Nase bricht mit einem grässlichen Geräusch, das durch meinen Kopf hallt. Egon bringt mich ins Krankenhaus, damit Dany sich um mich kümmert. Er ist Pfleger in der Notaufnahme. Wir müssten Maman anrufen und ihr Bescheid sagen, doch meine Brüder sind beide der Meinung, wir sollten es nicht tun. Sie trauen sich nicht, sie wollen sie nicht beunruhigen. Sie haben Angst, ihr zu sagen, dass ihr kleines Nesthäkchen keine Nase mehr hat  â zumindest im Augenblick. Seit wir von ihrer Krankheit wissen, verschweigen
wir ihr alles,
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