Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
Wohnzimmer sie durch ein Klicken verraten wird. Daher tue ich alles, damit er es nicht hört. Ich übernehme erneut die Führung in unserer kleinen Unterhaltung. Ich spreche laut, sehr laut, um das Geräusch der Verbindung zu übertönen. Ich spreche lange, ohne die geringste Pause, auch ich erzähle allen möglichen Unsinn. Nach etwa zehn Minuten ununterbrochenen Schwatzens wird leise an die Wohnungstür geklopft.
Er fährt auf und macht wieder die bedrohliche Handbewegung zur Jackentasche hin. Ich reagiere schnell und rufe: »He! Jungs, könnt ihr mal aufmachen? Das sind die Kaffees, die wir eben unten im Restaurant bestellt haben!« Meine Reaktion ist so spontan, dass er mir aufs Wort glaubt. Meine beiden Verbündeten kommen aus dem Büro und gehen Richtung Wohnungstür. Ich versuche, sie nicht anzusehen, während sie vorbeigehen, ich tue so, als wäre ich völlig in unsere Unterhaltung unter vier Augen vertieft. SchlieÃlich kommen da nur ein paar Kaffeebecher, ich habe keinen Grund, mich zu unterbrechen. Ich bleibe so natürlich wie möglich. Ich denke mir, dass Cyril und Richard die Polizei informiert haben, dass sie jetzt vor der Wohnungstür steht. Cyril hat sie kaum einen
Spalt geöffnet, da fliegt sie unter dem Ansturm der Polizisten schon auf. Mein Verrückter wirft sich zu Boden, die Polizisten versuchen, ihn zu überwältigen. Er schlägt mit dem Kopf auf den Boden und brüllt: »Ich habe dir vertraut! Ich habe dir vertraut!« Er holt ein Walkie-Talkie aus der Jacke und sagt hastig: »Verschwinde! Die haben mich geschnappt, beeil dich â¦Â«
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Das also war seine Waffe ⦠Weder eine Pistole noch ein Messer, ein Funksprechgerät.
Seine vorwurfsvollen Schreie und seine Warnung an einen etwaigen Komplizen verfolgen mich. Die Polizisten haben dem Verrückten Handschellen angelegt und mit ihm die Wohnung verlassen, aber ich finde keine Ruhe. Zwar fühle ich mich nicht schuldig, aber es gibt mir einen Stich, wenn ich an seine Vorwürfe denke. Und vor allem ist er nicht allein. Mit wem hat er über Funk gesprochen? Wenn ein anderer Mann mit ihm im Bunde ist, dann hat er dieselben überaus genauen und vollständigen Informationen über mich, mein Leben und meine Angehörigen. Ich muss meine Schwester anrufen, ich möchte, dass sie, wenigstens vorerst, ihre Wohnung verlässt, das ist sicherer, denn er hat ihre Adresse. Sie kann zurück, wenn wir wissen, ob immer noch Gefahr besteht.
Ich stehe noch unter Schock. Im entscheidenden Moment habe ich die nötige Kraft und Geistesgegenwart gehabt, um aus der Situation herauszukommen. Jetzt, im Nachhinein, lässt meine Spannung nach. Aber nicht ganz. Die Erleichterung, das Ende der Angst, habe ich noch nicht erreicht. Ich zittere, seit Monaten bin ich einer ständigen, diffusen Bedrohung ausgesetzt. Es war unerträglich. Es ging zu lange. Und wie meine Brüder bei meinem Autounfall meine Mutter
schonen wollten, habe ich natürlich meiner Familie nichts von dem Ganzen erzählt. Nur niemanden beunruhigen â¦
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Mein Verrückter ist im Gefängnis. Aber da wird er nicht lange bleiben. Da er mich nicht verletzt hat, hat die Justiz keinen Grund, ihn in Gewahrsam zu behalten. Dass er verrückt ist, dass er mich bedroht hat, reicht nicht aus. Verurteilt wird auf der Grundlage von Beweisstücken, von Einbruch, Blut, Schlägen und Wunden. Man kann ihn nicht wegen der inneren Schäden verurteilen, die er zu verantworten hat. Seit mehr als einem Jahr vergiftet er mir das Leben. Er hat mich in eine Angst gestürzt, die mir keine Atempause mehr lässt. Aber, und das verstehe ich, von einem juristischen Standpunkt aus hat er mir nichts oder sehr wenig angetan. Also kommt er wenige Monate nach seiner Festnahme aus dem Gefängnis frei. Ich bin wie vernichtet, als Cyril und Richard es mir in StraÃburg mit Leichenbittermiene mitteilen. Ich habe nicht einmal ein wenig Gleichmut zurückgewinnen können, bevor die Hölle wieder losbricht. Ich spüre es. Der Verrückte ist keiner von denen, die aufgeben. Je schwerer seine Liebe verletzt wird, desto verrückter wird sie. Ich weià es: Er hat nicht aufgehört, Schaden anzurichten. Mit verdoppelter Leidenschaft wird er es noch schlimmer treiben.
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Einige Monate darauf erhalte ich einen beängstigenden Anruf von Cyril. Er, der sonst so ruhig und phlegmatisch ist, geradezu
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