Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
der uns gern an unsere Pflichten erinnerte. Wir hatten groÃe Angst
vor ihm. Ich fürchtete ihn mehr als meinen Vater. Es war ziemlich mühsam, einen Bruder zu haben, der ständig überwacht und nachprüft, der kritisiert und tadelt. Aber wenn er nicht mit uns schimpfte, war er nett und lustig. Später erfuhr er von seinem Diabetes und veränderte sich. Er begann zu vergessen, wie ernsthaft er sein konnte, er alberte herum und genoss das Leben. Früher war er ein bisschen rau, aber mit dem Alter wurde er milder. Ein anderer Mann, ein anderer Bruder. Es war rührend zu sehen, wie aus Bruno ein lieber Kerl wurde, dabei war er der strengste meiner Brüder gewesen. Ich verstand mich immer besser mit ihm. Ich lache gern, ich genoss seine Witze und seine lustigen Bemerkungen. Wir hatten angefangen, eine sehr gute, eine frohe Zeit zu haben, wenn wir zusammen waren.
Doch mein Bruder hatte mehr und mehr Sorgen. Zu seinem Diabetes kamen noch schwere Herzprobleme hinzu, im Zusammenhang mit einem dreifachen Bypass musste er sehr lange im Krankenhaus bleiben. Diese Serie von gesundheitlichen Einschränkungen zog Bruno schlieÃlich in eine Dauerdepression, aus der man ihn nur schwer herauslocken konnte. Er ertrug seine körperliche Schwäche nicht mehr.
Ich würde ihm diesen unauslöschlichen Schmerz gern zeigen, den ich in diesem Augenblick empfinde, damit Bruno erkennt, welchen Fehler er gemacht hat. Es wird lange dauern, bis ich wieder sein Lieblingslied singen kann: »LâAigle noir«.
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Kraft und Ehren
Anfang 2003 beginnt für mich nach der eher beschaulichen Periode des Films und der Tournee Piano-Bar eine weit energischere Phase. Der Tod meines Bruders hat mich geradezu elektrisiert, und ich stelle mir mein neues Album eher⦠spannungsvoll vor. Mich verlangt nach einer kräftigen, üppigen Platte. Meine Plattenfirma folgt mir in diese dynamische Richtung. Ich will ganz viele unterschiedliche Teilnehmer und keinen, der alles leitet. Ich denke an ein starkes, etwas sexistisches Projekt, mit dem ich sowohl die Lieder als auch die Menschen in Schwung bringen will. Ich habe Lust, die Fäuste zu zeigen. Die Frau von Piano-Bar , sexy und feminin, soll durch eine kämpferische Powerfrau ersetzt werden, die Forderungen stellt.
Ich nehme mir Zeit bei der Auswahl der Titel für dieses Album, dessen Konzept sich ganz natürlich ergibt. Sexe fort  â Starkes Geschlecht  â soll das Album heiÃen. Und das Symbol der Frau tragen, das â. Dieses Album soll mich so zeigen, wie ich bin. Ich fühle mich jetzt stärker als früher und auch freier. Ich habe mich gewissermaÃen emanzipiert. Mit meiner Stimme habe ich mir sowohl künstlerische als auch finanzielle Autonomie erworben. Als Sängerin habe ich mich bewiesen: Ich habe in fünfzehn Jahren fünfzehn Millionen Alben verkauft.
Und in meinem Privatleben kann ich mir aussuchen, ob ich mit einem Mann zusammenleben will oder nicht. Ich bin
das, was man als »befreite Frau« bezeichnen könnte. Und wie ich es im Lied sage: »câest pas si facile«  â das ist gar nicht so einfach. Es verkompliziert natürlich meine Beziehungen zu den Männern, die mich nun doppelt fürchten. Weil ich auf sie verzichten kann und weil ich berühmt bin. Mir ist aufgefallen, dass Männer sich vor unabhängigen Frauen fürchten, die für sich selbst die Verantwortung übernehmen und nichts von den Männern erbitten. Für eine Frau kann sich die Freiheit manchmal zu einem Handicap entwickeln. Ein bisschen unheimlich, so eine Künstlerin, die einen überstrahlen kann, die ihren Lebensunterhalt selbst verdient, die aus sich heraus existiert. Da kann es vorkommen, dass sich die Männer nicht trauen, dass sie sich kaum nähern und bei der geringsten Schwierigkeit weglaufen. Es kommt auch vor, dass sie sich trauen, dass sie zu weit gehen und einen ernüchtern. Mit Sexe fort stelle ich klar, dass die Schwäche nicht auf der Seite ist, auf der sie vermutet wird.
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Oft bewundere ich den Mut von Frauen, die allein mit der Kindererziehung, dem Job und dem Haushalt zurechtkommen müssen. Mir ist bewusst, dass mein Engagement für die Sache der Frau Wasser auf die Mühlen derjenigen ist, die mich für homosexuell halten. Das Bild der Leute, das sie sich über Sexualität machen, über Intimität und privates Glück, entspricht nie der
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