Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
Wahrheit. Sie projezieren ihre Fantasien oder das, was sie ablehnen, auf einen, und wenn man es richtigstellen will, hören sie einem nicht zu. Schon lange geht das Gerücht um, ich hätte einen Hang zu Frauen, und es amüsiert mich sehr. Wie soll es auch anders sein, wo ich doch Kontakt zu lesbischen Freundinnen pflege und als Schwulenikone betrachtet werde. Und da es mir nichts ausmacht, lasse ich
diese Legende Blüten treiben, bis sie eines natürlichen Todes stirbt.
Dieser neue Look für Sexe fort , die Haltung, die elektrisch aufgeladene Interpretation meiner Lieder auf der Bühne, all das passt zu mir. Manchmal werden meine Präsenz und meine Energie mit der von Johnny Hallyday verglichen. Manche behaupten, ich sei sein weibliches Gegenstück, weil ich auch dieses Rebellische habe und diese mächtige Stimme, die sich voll und ganz hingibt; das haben wir gemeinsam. Mit meinem kurzen blonden Haar, meinem energischen Auftreten als Frau, die mit den Fäusten zu kämpfen bereit ist, zeige ich eine wichtige Seite von mir, ein Gegengewicht zu dem, was an mir zurückhaltend, zart und schmerzemfpindlich ist. Es ist mir sehr recht, dass ich meine reizbarere, dominantere, männerfressende Seite zeigen kann. Mir ist bewusst, dass ich auf manche Leute kühl, distanziert, unzugänglich, ja fast versteinert wirke. Auch dieses Image klebt an mir, obwohl es nicht ganz zutrifft. Ein Image ist paradoxerweise nie völlig richtig und nie völlig falsch. Es entspricht einem Teilaspekt von einem selbst, aber auch einer Zeitströmung und dem Einfluss einer bestimmten Epoche. Einflüssen, seien sie nun direkt oder eher diffus, kann man sich nie ganz entziehen.
Was sich mit den Jahren verändert hat, ist meine Fähigkeit zu entscheiden, was zu mir passt und was nicht. Mein Geschmack hat sich verfeinert, ist reicher und differenzierter geworden. Doch wie immer meine Outfits und die Art meiner Alben sich entwickeln, einige Grundsätzlichkeiten verankern sich, und es wird schwer, gegen sie zu handeln. In Sexe fort schlage ich abrupt einen aggressiven Ton an, es ist ein Bruch wie ein Elektroschock, um die Gemüter zu verwirren und den Blick mancher Leute gewaltsam zu verändern. Ich mache mir
einen Spaà daraus, ein wenig zu provozieren und stelle die lästige Frage, die der Haupttitel von Sexe fort ist: »Où sont les hommes?«  â Wo sind die Männer?
Â
Für dieses neue Album habe ich jede Menge Männer um Beiträge gebeten. Altvertraute Gefährten wie François Bernheim, Jean-Jacques Goldman oder Pascal Obispo, aber auch Francis Cabrel, Patrick Fiori, Renaud, Louis Bertignac und Stephan Eicher. Ich knüpfe immer mehr Verbindungen und erhalte sehr viele Vorschläge, aus denen ich jetzt eine Auswahl treffen muss. Immerhin behalte ich fünfzehn davon!
Zum ersten Mal in meiner Karriere hatte ich Lust, etwas zusammenzuschreiben, etwas zu erzählen. Nach kurzem Zögern  â schlieÃlich habe ich diesen Komplex im Umgang mit Wörtern, Sätzen, Texten  â mache ich mich ans Werk. In einer ersten Strophe beschreibe ich den Ort, an dem ich mich befinde. In der nächsten frage ich mich, über wen oder was ich sprechen kann. Nach der letzten wird mir klar, dass ich gerade mein erstes Lied geschrieben habe. Der Text bringt mich zum Lächeln, er ist ein wenig naiv und drollig. Ich habe es immerhin versucht. Aber ich bin ehrlich genug, seinen Wert richtig einzuschätzen. Er ist nicht so gut wie die anderen Texte, die der echten Songwriter. Ich beschlieÃe also, meinen ersten Text nicht zu verwenden.
Die Gesamtheit der Titel klingt, wie ich es mir gewünscht habe. Die Aufnahmen machen wir in den ICP-Studios in Brüssel unter sehr angenehmen Bedingungen. Ich habe einen auÃergewöhnlichen Arrangeur im Team, Frédéric Helbert. Ich habe ihn 1994 auf der Tournee Tour de charme kennengelernt, damals war er im letzten Augenblick für einen Musiker eingesprungen. Frédéric, ein groÃer, kräftiger Mann mit romantisch
langem Haar, sanftem Blick und diskretem Auftreten, ist wirklich sehr einnehmend. Seine Schüchternheit verträgt sich gut mit meiner Zurückhaltung, ich schätze sein Feingefühl, seine Intuition und seine Fähigkeit, dem Album ein und dieselbe Farbe zu geben: schräg und schrill. Aber die Aufnahmen sind für ihn schwierig, weil so viele an dieser Platte beteiligt sind
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