Madonna, ein Blonder!
beim Ausfragen im Geschichtsunterricht in längst vergangenen Schulzeiten.
Zudem frage ich mich, ob ich überhaupt eine reelle Chance habe, die Sympathien des Dorfes zu gewinnen. Da sind schließlich etliche seit Jahren hinter Elisa her, vor allem dieser Ermanno. Ob der auch heute Abend kommt?
» Äh, ’tschuldigung, was hast du gesagt?«
» Wie meine Cousins und Cousinen nach Alter geordnet heißen.« Elisa ist unerbittlich. Ich jongliere mit ein paar Namen und lande immerhin einige Zufallstreffer.Muss jeder von Elisas Verwandten eigentlich mindestens vier Kinder haben? Konnten die sich nicht ein bisschen beherrschen?
Nach vier Stunden Fahrt, Richtung Pescara und dann irgendwo rechts weg, die letzte halbe Stunde zuweilen steil bergauf durch einen Wald, erreichen wir das Ortsschild von Angolorotondo. Wegen des Regens ist kaum jemand auf der Straße, nur der Betreiber einer kleinen Tankstelle schaut uns neugierig nach. Ein Blonder in seinem Dorf! Erst passieren wir das » böse« Gasthaus der Familie Carbone, dann parken wir zwei Minuten später in einer schmalen Straße vor dem » Albergo Osteria Rossi«.
» Hier im Haus wurden alle meine Tanten und Onkel geboren«, sagt Elisa. Angesichts des nahenden historischen Augenblicks bricht mir der erste Schweiß aus, doch ich versichere, dass alles in Ordnung sei. Aus dem ersten Stock dringt lautes Männerlachen.
Immer mehr Stimmen fallen ein, bis das ganze Haus zu lachen scheint.
Ich frage mich, ob es wirklich eine tolle Idee von Elisa gewesen ist, mich ausgerechnet am 53. Geburtstag ihres Onkels der ganzen Verwandtschaft vorzustellen. Noch mal denke ich an Dino. Wäre er jetzt da, könnte er sagen: Leute, das ist mein blonder Freund, seid nett zu ihm.
Immer noch hört man das laute Lachen eines Mannes.
» Das ist Onkel Giacomo«, erklärt Elisa, » du weißt ja, der Mann von…, na?« Sie schaut in mein ratloses Gesicht. » Von Tante Stefania! Was ist denn los, du wusstest das doch alles schon!«
Gerade will ich mir mit der flachen Hand auf die Stirn schlagen und sagen: » Mensch! Das Bügeleisen, es ist noch an! Wir müssen nach Rom zurück!«, da stößt Elisa die Tür auf. Wir gehen die Treppe hoch und biegen nach rechts in einen Flur ein.
Noch zehn Schritte, noch acht, gleich wird das Lachen verstummen, und alle werden den tedesco mustern, der die schönste Tochter des Dorfes zu entführen droht– und der sie noch dazu in aller Öffentlichkeit auf dem Fest in Sidolini geküsst hat. Noch fünf Schritte, vier, drei, zwei, eins.
Alle Geräusche in dem kleinen, von Neonröhren erleuchteten Saal verstummen schlagartig, und an die 40 unter dunklen Brauen versteckte Augenpaare drehen sich zum Eingang hin. In das Schweigen hinein sagt ein kleiner Bub, vielleicht Cousin Federico: » Was ist das?«
» Schsch«, macht die Mutter, » das ist ein Blonder!«
Jetzt zieht mich Elisa weg, hin zu Onkel Giacomo, der in der Mitte der langen Tafel sitzt. Er ist ein kleiner, jovialer und selbstbewusster Mann. Wie ich gelernt habe, ist er Ingenieur bei einem Autozulieferer und führt– so ganz nebenbei– noch einen Bauernhof.
» O bellissima!«
Onkel Giacomo ist begeistert, Elisa zu sehen. Er drückt ihr einen Kuss links und rechts auf die Wange, flüstert ihr etwas zu, von dem ich nur ein Wort verstehe: » Ermanno.« Ist der etwa hier? Elisa schüttelt den Kopf, Giacomo nickt.
Offenbar ist Verehrer Ermanno nicht eingeladen.
Der Onkel mustert jetzt mich und meine lockige Haarpracht. Er fragt Elisa: » Wie heißt das Jesuskind noch mal?«, und deutet mit einer Kopfbewegung zu mir herüber.
Giacomo quetscht mir die Hand und spricht meinen Namen nach, als sei es eine Zumutung, eine derart komplexe Lautfolge über die Lippen zu bringen. Er sagt: » Martinson.«
» Wenn man an den Vornamen ein O anhängt, ist er nicht anders als im Italienischen, Martino«, versuche ich zu erklären, doch es hilft nichts.
» Wir haben niemanden im Dorf, der so heißt, ob mit O oder ohne.«
Elisa stellt mich jetzt reihum vor, wir gehen von Tisch zu Tisch, von Stuhl zu Stuhl: » Das ist Martin, das ist Onkel X.« – » Das ist Martin, das ist Tante Y.« Am Anfang tue ich noch interessiert, dann schalte ich auf Autopilot, spitze den Mund und halte meine Wange hin: Unrasierten Männern ebenso wie zarthäutigen Damen. Was ich an diesem Abend absolviere, ist die längste Bussiparade meines Lebens. Manche begrüßen mich so stürmisch, wie meine Oma es früher zu tun pflegte. Wobei mir ihre
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