Madonna, ein Blonder!
mehr Menschen stehen jetzt am Wegesrand. War das da gerade Ferdinando? Und hier: Ist das Emma? Die Tochter von– äh– Tante Chiara? Sie winken. Ich höre sie » Forza!« rufen. Nur Elisa? Wo ist Elisa?
Jetzt kann ich mich nicht mehr verlaufen. Ein großes Banner mit Benvenuti hängt am Dorfeingang quer über die Straße, Kinder, Alte, alles jubelt. Ich drehe mich um: Hinter mir auf der Strecke ist keiner, vor mir keiner. Das gilt alles mir!
Das Spalier der Menschen führt mich auf den Dorfplatz. Er ist schwarz vor Menschen, obwohl es vielleicht 9 Uhr morgens ist. Über den Platz sind auf Dutzenden Schnüren dreieckige Fähnchen gehängt, rote und blaue im Wechsel. Die Farben von Angolorotondo. Aber sie sehen aus wie eine Farbe. Ich sehe alles verschwommen vor Müdigkeit, Anstrengung und zu viel Adrenalin.
Was bin ich jetzt eigentlich? Erster? Zweiter? Dritter? Vierter? Aber würde man hier so feiern, wenn ich Letzter wäre? Habe ich die anderen noch überholt, ohne es zu merken?
Da! Das Podium!
» Managgia!«
Da steht schon einer der beiden, die gerade über mir hinwegliefen, als ich mich vor Ermanno auf den richtigen Weg flüchtete. Es ist der Läufer von Casariccia mit der Statue der Madonna della Corona. Und sein Mitläufer ist auch im Ziel.
Wir haben es nicht geschafft.
Ich habe es nicht geschafft.
Wir sind nur Zweiter.
» Mortacci tua, Ermanno!«
Ich kämpfe mich die letzten Stufen hoch, Dorfpfarrer Don Giorgio umarmt mich, obwohl ich völlig verschwitzt bin, wie einen verlorenen Sohn. Mit einer Geste bringt Don Giorgio den ganzen Platz zum Schweigen.
Stille. Ich schaue mich verstohlen um. Da, da ist Susanna! Und Enrico! Und Roberto! Und neben ihm Elisa! Und Dino! Mein Lieblingsbarista zwinkert mit dem rechten Auge, macht die Perfetto- Geste und lächelt mir zu.
Don Giorgio sagt nun auffordernd » Prego!« und weist auf einen Säulenstumpf auf dem Podium. Alles blickt zu mir. Ich stelle die Madonna von Angolorotondo darauf. Es ist ein Moment wie der, als ich am ersten Tag mit dem Zug in Rom ankam und beim Aussteigen etwas Bedeutendes denken wollte. Damals fiel mir nichts ein. Jetzt schon: Ich bin fix und fertig. Aber glücklich.
Als die Madonna del’Angelo auf dem Säulenstumpf steht, nimmt Don Girgio einen Kübel mit Weihwasser und besprengt die Statue, mich selbst und so weit es geht auch die Menge.
Stille.
Der Dorfplatz jubelt.
Mir wird schwarz vor den Augen.
Bravissimo! Am Ziel
Als ich wieder zu mir komme, fühle ich kühlen Wind, der über meine Haut streicht, und als ich mühsam die Augenlider öffne, sehe ich zwei Gesichter.
Dino– und daneben Elisa! Ich kann es kaum glauben. Ist es ein Traum? Ich habe sie nicht gesehen, seitdem ich diese verfluchte Reise nach Reggio Calabria unternommen habe.
» Wie geht’s?« Sie schaut mich an. Ich sehe ein leichtes, feines Lächeln.
Mühsam bringe ich heraus: » Wie schön, dass du da bist.«
» Geht’s dir gut?« Sie nimmt meine Hand und streichelt sie.
» Boh«, sage ich und bringe so etwas wie ein Lächeln heraus, » meine Hände und Füße brennen, und meine Knochen schreien.«
Elisa drückt die Lippen zusammen und macht » Hmmm«, als würde sie nachdenken.
Warum das jetzt?
» Biondino, wenn du solche Schmerzen hast, dann wird dir das auch nichts mehr ausmachen.«
Sie hebt ihre rechte Hand, und einen Moment später klatscht sie auf meine rechte Wange. » Das, biondino, war für Reggio Calabria!«
Dann küsst sie mich. » Und das ist für den zweiten Platz für Angolorotondo.«
Sie küsst mich noch einmal. » Und das ist, na ja, einfach so.«
» Eeh«, macht Dino verlegen, der die ganze Szene verfolgt hat. Elisa lächelt mich an und legt den Kopf an meine Seite. » Ich habe dich vermisst, auch wenn du ein stronzo bist! Jetzt ruh dich aus.«
Als Dino und Elisa gehen, schreibe ich eine SMS an Uli: » Du wirst es nicht glauben, ich habe den zweiten Platz im Madonnenlauf geholt! Alles ist wieder gut! Auch mit Elisa! Baci! « Hätte mich Uli nicht gedrängt, ich hätte diese Chance wohl verstreichen lassen.
Elisa und Dino schauen den ganzen Tag über nach mir und versorgen mich mit allem, was unten in der Küche des Ferienhauses von Familie Bianchi für den biondino gekocht wird. Manchmal schaut auch Susanna selbst zu mir rein, um mir einen frischen » Ricotta-Wickel« aufzulegen, der meine Krämpfe lindern soll. Enrico und Roberto versorgen mich mit einem Stapel ihrer Sturmtruppen -Hefte. Einen schöneren Tag kann man sich nicht
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