Madonna, ein Blonder!
den Baumstamm hinter die Kurve gelegt haben, um uns aufzuhalten.
Ich will gerade die Madonnenstatue absetzen und zu ihm hingehen, doch Francesco fuchtelt abwehrend mit den Armen: » Vai! Lauf, lauf! Schnapp dir Ermanno, diesen bastardo! Tocca a te! Jetzt liegt es an dir!«
Ich nicke, drehe mich um und jage los. Eine Kurve weiter höre ich Francesco rufen: » Das Glück von Angolorotondo liegt in deinen Händen!« Wenn’s weiter nichts ist! Warum müssen die Italiener immer so dramatisch sein? Drei Kurven weiter höre ich Francesco erst anfeuernd » Vaiii!« und dann schmerzverzerrt » Aaaah!« schreien.
Mit seinem unfairen Manöver hat Ermanno wieder ein wenig Zeit gutgemacht. Wie viel, weiß ich nicht, zu sehen ist er jedenfalls nicht mehr. Auch habe ich keine Ahnung, wie weit es noch ist bis Angolorotondo. Zu allem Überfluss ist der Schaumstoffschutz an den Griffen weg, sodass die rostigen fingerdicken Eisen sich bei jedem Schr itt tiefer ins Fleisch drücken. Das ist sehr, sehr unangenehm.
Die Schotterpiste geht in eine weite Rechtskurve. Schon sieht man durch die Bäume hindurch in der Ferne Angolorotondo.
Es sind noch etwa drei, vier Kilometer.
Und da vorne, kurz vor dem Ausgang aus dem Wald, läuft Ermanno, der sich erneut hektisch umdreht.
Was jetzt wohl kommt, frage ich mich.
Plötzlich bleiben er und der andere auf einen Schlag stehen, rund 100 Meter von mir entfernt. Sie drehen sich zu mir um und stellen die Madonna von Venosa auf den Boden.
Was mögen sie vorhaben?
Wollen sie mich aufhalten?
Verprügeln?
Angst einjagen?
Umbringen?
Ich laufe etwas langsamer. Wieso stehen hier eigentlich noch keine Schaulustigen, so kurz vor dem Dorf?
Managgia! Das muss es sein!
Es gibt nur eine Erklärung: Ermanno und sein Kompagnon haben mich auf einen falschen Weg gelockt. Ein schlauer Fuchs dieser Ermanno– ist ja auch avvocato, wie Dino mir verraten hat: Er weiß, dass er es nicht mehr schaffen kann, dass ich früher oder später an ihm vorbeilaufen würde. Und er weiß auch, dass er auf dem richtigen Weg kurz vor dem Dorf keine Baumstämme ausreißen und auf mich werfen kann. Also hat er nur noch ein Ziel: Er will verhindern, dass ich Erster werde. Lieber soll ein anderes Dorf gewinnen als der biondino, der ihm Elisa weggeschnappt hat.
Und jetzt?
Ich schaue mich um. Weit kann doch der echte Weg gar nicht sein.Vielleicht ist er schon da oben?
» Na, blonde Ratte, was hast du vor?« Ermanno geht einen Schritt in meine Richtung. Jetzt ist er nur noch 99 Meter entfernt.
Um Zeit zu gewinnen, sage ich: » Ciao, Ermanno! Ein schöner Tag, nicht?« Ich schaue mich um. Ja, da rechts oben, den Hang hinauf, zwischen den Bäumen hindurch, da oben müsste der richtige Weg verlaufen.
» Ein schöner Tag zum Sterben!«, ruft Ermanno. Sein Winzling lacht sich kaputt. Eine skurrile Szene inmitten eines wunderschönen erwachenden Abruzzenwaldes.
Mir bleiben zwei Möglichkeiten:
Ich laufe zurück und suche den richtigen Weg. Oder ich komme irgendwie an den beiden vorbei und schlage mich zum richtigen Weg durch. Dann habe ich vielleicht noch Chancen zu gewinnen.
Na, dann los!
» Also, Madonna von Angolorotondo, jetzt steh mir bei.« Eigentlich wäre das jetzt der passende Moment, dass mein Leben an mir vorüberzieht. Aber dafür habe ich keine Zeit.
Ich renne auf die beiden los.
» All’attacco«, schreit Ermanno und stürmt ebenfalls auf mich zu, der Winzling hinterher.
Jetzt trennen uns noch 70 Meter, 50, 40. Ermanno reißt den Mund auf und schreit: » Mortaaaaaccccciiiiiiii tuuuuuuuuuuuuaaaaaaaaaaaaa!« Er will mich jetzt fressen.
Wir sind noch 20 Meter voneinander entfernt, da breche ich scharf nach rechts aus, so scharf, dass ich zu stolpern drohe. Ich fange mich und krabble und renne auf allen dreien– in einer Hand die Madonnenstatue– den Hang hinauf.
Ermanno, völlig überrascht von diesem Manöver, rastet aus. » Cazzo! Cazzo! Cazzo!«
Er und der Winzling machen sich auf, mir hinterherzuklettern. Doch ich bin schon oben. Schon auf dem richtigen Weg. Denn dass es der richtige ist, weiß ich jetzt. Kurz bevor ich dort war, sind zwei Läufer mit Madonnenstatue hier in Richtung Angolorotondo gelaufen.
Sollte es Ermanno geschafft und meinen Sieg verhindert haben?
Was soll’s, jetzt renne ich einfach weiter. Ich laufe aus dem Wald hinaus. Angolorotondo vor mir! Es liegt da wie ein Dorf im Märchenfilm, mit dem stolzen Kirchturm, um den die Vögel auf der Suche nach Frühstück kreisen.
Immer
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