Madonna, ein Blonder!
flüsternd setze ich noch na ch: Vaffanculo, Ermanno!« Du kannst mich mal!
Francesco lacht, Ermanno knurrt.
Nur noch ein paar Minuten. Francesco wird nervös: Unter drei Stunden hat noch niemand die Strecke geschafft, doch jetzt hören wir ein paar Gassen weiter Applaus aufbranden. Wessen Läufer werden das sein? Unsere?
Dann biegt jemand um die Ecke. Ein Läufer mit Madonna! Es ist eine gespenstische Szene: Auf den mittelalterlichen Dorfplatz rennt früh am Morgen ein Mann mit einer Madonnenstatue. Auf der Stirn trägt der Läufer eine leuchtende Stirnlampe, der Schweiß rinnt ihm vom Gesicht, die Statue trägt er feierlich und ehrfürchtig hoch über dem Kopf. Aber es ist nicht die Madonna aus Angolorotondo. Diese hier sieht ganz anders aus: goldfarben, mit einem Strahlenkranz hinter ihrem Rücken, die Madonna delle Vittorie aus Venosa.
Francesco und ich zischen fast gleichzeitig: » Managgia!«
Ermanno breitet theatralisch die Arme über dem Kopf aus, als würde er dem Himmel danken: Venosa, sein Dorf, liegt also in Führung. Der Dorfplatz flippt aus.
Noch wenige Meter, dann übergibt der verschwitzte Läufer seine Statue an Ermanno, und er und der Winzling rennen los.
Als sich Ermanno noch einmal umdreht, streiche ich erneut mit dem Handrücken am Kinn entlang, das Zeichen für » Du kannst mich mal«. Ich bin von meinem eigenen M ut überrascht, mich mit diesem Hünen anzulegen.
Ermannos Augen glühen vor Hass auf mich.
Na, das kann ja was werden. Toll, dass ich jetzt diesem Verrückten zwei Stunden lang im Wald hinterherlaufen darf.
Eine gefühlte Ewigkeit später sind auch Francesco und ich endlich unterwegs. Venosa liegt schon hinter uns, Angolorotondo vor uns, irgendwo dahinten und wohl mehr als zwei Stunden entfernt.
Unser Läufer kam leider erst zehn Minuten hinter dem aus Venosa auf dem Dorfplatz an, schweißüberströmt, mit aufgeschlagenen Knien und vor Anstrengung blutunterlaufenen Augen. Aber immerhin war er Zweiter! » Schneller, schneller«, rief Francesco, bevor er die Statue übernahm, und dann rannten wir los, angefeuert von den vielen Schaulustigen.
Jetzt sind wir alleine und laufen hintereinander, Francesco voran mit der Madonnenstatue. Alle 20 Minuten wollen wir uns mit Tragen abwechseln. Von Ermanno und seinem Mitläufer vor uns ist nichts zu sehen. Auch hinter uns rührt sich nichts, keiner aus den anderen beiden Dörfern. Es scheint ein Zweikampf zu werden: Venosa gegen Angolorotondo.
Wir laufen und laufen und laufen, während langsam die Sonne aufgeht.
Es ist eine Stunde vergangen, ich trage die Statue jetzt zum zweiten Mal, im Laufen hat sie mir Francesco herübergereicht. Die Eisengriffe, obwohl mit Schaumstoff umwickelt, schlagen hart gegen meine ohnehin schon schmerzenden Daumen und Zeigefinger. Ich laufe bereits wie in Trance.
Was-mach-ich-hier?
Weitere 30 Minuten später hält ein erster Streckenposten Wasser bereit, ich greife mir zwei Becher, schütte erst mir einen unterm Laufen in den Mund, dann Francesco, der gerade die Madonna trägt, den anderen.
» Venosa ist drei Minuten voraus«, ruft uns der Posten hinterher: Wir haben also auf der ersten Hälfte der Strecke sieben Minuten aufgeholt. Da müssten doch drei auf dem Rest zu schaffen sein!
» Dai, dai, dai«, ruft Francesco wieder. Los, los, los.
Ich habe gerade zum vierten Mal die Statue übernommen, als die beiden Läufer aus Venosa in Sicht kommen. Ermanno versucht jetzt das Tempo zu steigern, dreht sich alle paar Meter nach uns um.
» Gleich haben wir ihn!«, ruft Francesco begeistert.
Die Strecke führt jetzt in ein Waldstück und folgt einer steil abfallenden Serpentinenschotterpiste. Gefährliches Terrain. Francesco läuft ohne Madonnenstatue voraus und verschwindet hinter einer Kurve. Er will Ausschau halten, wie weit Ermanno und sein Kompagnon noch entfernt sind.
Plötzlich wird das monotone Geräusch der Schuhe auf dem Schotter und mein Hecheln durch einen Schrei unterbrochen.
» Aaaah!« Und dann schallt durch den ganzen Wald der Ruf: » Bastardo!«
Das war Francesco.
Ich flitze los, so schnell ich kann. Als ich um die nächste enge Kurve biege, liegt Francesco neben einem umgestürzten Baumstamm.
» Occhiooo«, ruft er gedehnt. » Attenzione!!!« Pass auf! In letzter Minute springe ich über den Baumstamm hinweg und komme hinter ihm zu stehen. Ich schaue zurück auf Francesco. Aus seinem Knie läuft Blut, der Knöchel ist merkwürdig verdreht. Ermanno und sein dümmlicher Winzling müssen
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