Madonna
zu einem Tumult, als der Prediger zu einem lautstarken Sermon über das Ende der Welt ansetzte. Einige Frauen, ihrem Aussehen nach zu urteilen Marktweiber, bückten sich nach Steinen und begannen, Katharina damit zu bewerfen. Wie aus weiter Ferne erlebte sie mit, wie die Geschosse an ihr vorbeizischten, wie die Frauen sie angifteten und bespuckten. Sie sah, wie Richard sich vorwärtswarf, aber von den Bütteln daran gehindert wurde, zu ihr zu gelangen. Als einer der Steine sie an der Schläfe streifte, hörte sie ihn brüllen: »Herr im Himmel, tut endlich etwas, um sie zu schützen!«
Obwohl es für die Büttel ein Leichtes gewesen wäre, die Menge auseinanderzutreiben, entschieden sie sich lieber dafür, ihr auszuweichen. Vor der Stadtmauer wandten sie sich nach links, umrundeten die ausladenden Verteidigungsanlagen und betraten die Stadt schließlich durch das Spittlertor.
Als sie die Lochgasse erreichten, schlugen die Türmer bereits die zweite Stunde nach Mittag. Die Schatten in der Gasse erschienen Katharina wie schwere, schwarze Tücher, die sie einhüllten und ihr die Luft nahmen. Der Lochwirt, der ihnen vorausgeeilt war, schloss die Tür zum Gefängnisabgang auf und stieg dann allen voran in die klamme, düstere Tiefe hinab. Ein Büttel folgte ihm, dann kam Katharina, schließlich ein weiterer Büttel.
Eng und stickig erstreckten sich die Gänge vor ihr, und die wenigen Talglampen, die mit ihren zuckenden Flammen Einzelheiten aus der Finsternis rissen, spendeten nur wenig Licht. Schlagartig wurdeKatharinas Brust eng, das Atmen fiel ihr schwer. In schneller Folge irrlichterten Erinnerungen durch ihren Kopf. Erinnerungen an Menschen, die sie gemocht hatte und die hier unten gestorben waren, ihr Bruder Matthias …
Hinter ihnen, oben am Eingang zum Gefängnis, ertönte eine Stimme. »Lasst mich zu ihr!«
Vor Erleichterung sackte Katharina in sich zusammen. Richard war da!
Dengler drängte sich an ihr vorbei und stiefelte zurück, während die Büttel Katharina vorwärtsstießen, tiefer in das Gewirr der Gänge hinein. Sie wurde um eine Biegung geführt, dann um eine weitere, bis sie die Orientierung verloren hatte. Vor einer Zelle, über deren Türstock eine schwarze Katze mit Buckel gemalt war, blieben die Büttel schließlich stehen.
Dengler kam nur wenige Augenblicke später herbeigeeilt. Katharina lugte nach Richard, aber sie konnte ihn nirgends entdecken, offenbar hatte der Lochwirt ihm den Weg nach unten verwehrt. Sie presste die Zähne zusammen. Dengler hakte den Schlüsselbund von seinem Gürtel los und schloss die Zelle auf. Die Türangeln quietschten leise. Die Büttel schoben Katharina in die Zelle hinein, dann fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Sie wandte sich um. »Was geschieht nun?«, brachte sie mit Mühe heraus. In der dumpfen Stille der Zelle hörte sich ihre Stimme überlaut und schrill an.
»Bürgermeister Silberschläger wird bald hier sein«, erhielt sie als Antwort. »Und mit ihm der Inquisitor.«
Denglers Gesicht erschien in dem winzigen Fensterchen, das auf Augenhöhe in die Zellentür eingelassen war. Er warf Katharina einen neugierigen und zugleich angstvollen Blick zu, und sie begriff, dass er sie mit kranker Faszination begaffte.
»Habt Ihr keine Angst vor meinem bösen Blick?«, murmelte sie. Es scherte sie nicht, dass er diese Frage melden könnte und sie sich dadurch noch mehr in Schwierigkeiten brachte.
Sie war einfach nur müde. Müde und erfüllt von einer so absoluten, grausamen Gleichgültigkeit, dass sie nichts weiter vermochte, als sich auf die hölzerne Pritsche in der Zelle fallen zu lassen, die Beine an den Leib zu ziehen und ihren Kopf auf den Knien abzulegen.Nur wenige Augenblicke später ertönten Schritte vor ihrer Zelle. Katharina hob den Kopf. »Richard?«, wisperte sie.
Doch sie wurde enttäuscht. Es war nicht Richard, der sie durch die geschlossene Zellentür hindurch ansprach, sondern Heinrich Kramer.
»Katharina.« Seine Stimme war weich, fast zärtlich, und doch vibrierte etwas darin, das Katharina nicht zu deuten wusste. Sie ertappte sich dabei, dass sie sich wünschte, einen Blick in das Gesicht des Mannes werfen zu können, um seine Beweggründe zu erforschen. Doch sie fand nicht einmal die Kraft, das Wort zu erheben.
»Du fragst dich sicher, warum du hier bist«, sagte er.
Sie zwang sich, ihm zu antworten. »Weil Ihr mich für eine Hexe haltet.«
»Streitest du es gar nicht ab?«
Sie schwieg.
Da lachte er leise. Es war ein Geräusch,
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