Madonna
Predigerkloster, seine Stimme musste doch Gewicht haben gegenüber der von Kramer! Bettine Hoger fiel ihm ein, die seit den Engelmorden mit Katharina befreundet war. Sie war eine Patrizierin. Er stellte fest, dass er nicht einmal wusste, ob sie noch lebte.
Er selbst. Immerhin hatte er den Mörder mit eigenen Augen gesehen.
Während er all diese Menschen durchging, wurde ihm bewusst, dass Arnulf nachdenklich den Kopf schüttelte. »Was?«, fragte er.
»Zeugen nützen uns hier gar nichts.« Der Nachtrabe wandte den Kopf, weil hinter der Ecke auf einmal Schritte und Stimmen laut wurden. »Wir sollten besser verschwinden«, sagte er. »Du …«
Zwei Männer bogen um die Ecke. Es waren Silberschläger und der Stadtrichter.
»Herr Sterner!« Silberschläger klang nicht wirklich überrascht.
»Bürgermeister!« Mit einer knappen Geste neigte Richard denKopf. Neben ihm stieß Arnulf ein ergebenes Seufzen aus. »Katharina ist unschuldig, ich habe …« Er verstummte, als Arnulfs Hand sich auf seine verletzte Schulter legte.
»Wir gehen jetzt!«, sagte der Nachtrabe bestimmt.
Verblüfft sah Richard ihn an. »Aber, ich …«
Da gruben sich Arnulfs Finger so fest in sein Fleisch, dass ein scharfer Schmerz durch die Messerwunde fuhr. Richard schrie auf. Die grünen Augen des Nachtraben funkelten warnend.
Richard kannte diesen Ausdruck. Tu, was ich sage!, hieß er.
Verunsichert nickte er. Die Welt geriet erneut aus den Angeln.
Silberschläger stand da, die Schultern zurückgenommen. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich. »Gehabt Euch wohl!«, sagte er, und es klang ein leiser Spott in seiner Stimme mit, der Richard endgültig zur Besinnung brachte. Verwirrt folgte er Arnulf aus der Lochgasse hinaus ins Tageslicht.
Sie kamen zu spät!
Obwohl Claudius die Pferde so schnell laufen ließ, wie es in den Straßen der Stadt möglich war, kamen sie zu spät.
Donatus wusste es bereits, als er die Menschen sah, die ihnen entgegenströmten. Manche von ihnen wirkten heiter, als hätten sie einem großen Spektakel beigewohnt. Andere jedoch blickten düster und nachdenklich vor sich hin, als sei ihnen soeben die eigene Vergänglichkeit vor Augen geführt worden.
»Es ist vorbei!«, murmelte Donatus.
Spindler reagierte nicht. Mit starrem Gesicht saß er hoch aufgerichtet neben Claudius auf dem Bock und sah dem rasch näher kommenden Rabenstein entgegen. Und kaum, dass der Kutscher in der Nähe des gemauerten Vierecks anhielt, sprang er zu Boden. Sein Bein knickte ein, aber er fing sich an der Wagenseite ab und marschierte humpelnd auf den Richtplatz zu.
Donatus folgte ihm langsamer. Er brauchte keinen Blick auf den riesigen roten Fleck auf dem Rabenstein zu werfen, um zu wissen, dass er auch diesmal wieder versagt hatte. Tobias war tatsächlich tot. Und er hatte das Geheimnis, wer ihn vergewaltigt hatte, mit ins Grab genommen – genau wie Kilian.
Ein leises Aufschluchzen riss Donatus aus seinen selbstquälerischenGedanken. Spindler stand dicht am Rand des Richtplatzes. Seine Hände waren auf halber Höhe in der Luft erstarrt, und sein Gesicht war so blass, dass Donatus ihn für eine Statue hätte halten mögen.
Eine Grabstatue. Ein Bild der Trauer.
Donatus spürte, wie ihm Tränen in die Augen schossen. Zögernd trat er an Spindlers Seite. »Es tut mir leid«, flüsterte er, und er wusste selbst nicht, welches seiner vielen Versagen er damit meinte. Mit dem Daumenballen rieb er sich über Augen und Stirn. »Es tut mir leid«, wiederholte er. Die Schuld, die auf seinen Schultern lastete, drückte ihn schier zu Boden.
»Er war es nicht.« Dr. Spindlers Blick hing noch immer an dem Blutfleck, und als jetzt zwei Krähen auf dem nahe gelegenen Galgen landeten, stöhnte er unterdrückt auf.
Auf dem Leichenacker war ein einzelner Mann damit beschäftigt, ein Grab zuzuschaufeln. Wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen wandte Spindler dem Mann den Kopf zu, dann ging er auf ihn zu. Donatus wollte ihn aufhalten, aber er schaffte es nicht. Ruppig stieß Dr. Spindler seinen Arm fort und marschierte bis an den Rand des Grabes.
Eilig folgte Donatus ihm. Zu seiner Erleichterung war die Grube bereits halb zugeschaufelt, sodass ihnen der Anblick von Tobias’ Leiche erspart blieb.
»Was wollt ihr?« Mürrisch schaute der Totengräber von seiner Arbeit auf. »Da gibt’s nichts mehr zu glotzen.« Aber dann sah er die Bestürzung und Trauer in den Mienen der beiden, und er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Seine Mütze hatte er
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