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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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abgenommen und neben dem Grab auf einen kleinen Erdhügel gelegt. »War jemand, den ihr kanntet, hm? Das tut mir leid. Der arme Teufel. Kaum zu glauben, dass er all diese schrecklichen Morde auf dem Gewissen haben soll.«
    Bei seinen Worten erschien ein Ausdruck auf Dr. Spindlers Gesicht, der Donatus einen Schauer den Rücken hinunterrinnen ließ. Langsam entblößte der Priester seine Zähne, bis er fast wölfisch aussah. Dann jedoch zerfiel die Maske und machte völliger Ausdruckslosigkeit Platz, die umso furchtbarer war, als der Priester nun lautlos zu weinen begann. »Er war es nicht«, flüsterte er. »Er war es nicht!«
    Nach der ruppigen Abwehr von eben verspürte Donatus Scheu, den Priester erneut zu berühren, doch er überwand sie und legte ihmvorsichtig den Arm um die Schultern. »Kommt«, sagte er leise und errichtete in seinem Innersten einen Wall um die Schuldgefühle. »Gehen wir.«
    Er hatte Spindler schon dazu gebracht, sich abzuwenden, als die Stimme des Totengräbers sie beide innehalten ließ. »Zeiten sind das«, murmelte der Mann. »Jünglinge bringen Menschen um. Frauen werden zu Hexen. Ich sag euch: Das Ende der Zeiten steht dicht bevor!«
    Donatus wandte sich noch einmal an den Mann. »Was meint Ihr mit ›Frauen werden zu Hexen‹?«, fragte er. Warum nur dachte er sofort an Katharina?
    »Verhaftet haben sie sie, die Hexe«, sagte der Totengräber.
    »Wen?« Spindler sah nicht so aus, als könne er noch mehr schlimme Nachrichten ertragen. In den letzten Minuten hatte er sich in einen steinalten Mann verwandelt, mit grauem Gesicht, tiefen Falten und Schatten unter den Augen.
    Der Totengräber stieß seine Schaufel in die weiche Erde und stützte sich darauf. »Na, die Jacobsche, die das Fischerhaus an der Frauentormauer führt.« Mit knappen Worten erzählte er ihnen, was geschehen war. Er berichtete von einem Dämon, der aus dem Hingerichteten in die Luft gestiegen und schließlich in Katharina gefahren sei. Als er endete, fühlte Donatus sich, als habe ihm jemand die Haut in Streifen vom Leib gezogen. Katharina saß im Lochgefängnis! Unter Hexereianklage!
    Er fuhr sich mit allen zehn Fingern in die kurzen blonden Haare und legte den Kopf in den Nacken dabei. »Himmel!«, flüsterte er.
    »Donatus!« Dr. Spindlers Stimme klang heiser. Kaum verständlich war sie, und sie zitterte.
    Donatus sah ihn an. Langsam ließ er die Arme sinken. Weitermachen. Er musste weitermachen. Einen Schritt nach dem nächsten tun. Er durfte sich nicht von vergangenen Taten erdrücken lassen.
    »Geh nach Heilig-Geist«, sagte der Priester. »Mechthild muss erfahren, was geschehen ist.«
    Donatus war froh darüber, dass Spindler ihm sagte, was er tun sollte. Es gab ihm wenigstens ein bisschen Halt, und er klammerte sich daran. Mechanisch nickte er. »Was werdet Ihr tun?«
    Spindler straffte sich. Vor Schmerz zuckte er zusammen, fasste sich an die Hüfte, aber dann ließ er die Hand sinken. »Heinrich Kramer istein geweihter Mann, der den Heiligen Geist empfangen hat. Ich werde mit ihm reden und ihn davon überzeugen, dass Katharina auf keinen Fall eine Hexe sein kann.«
    Erleichterung erfasste Donatus. »Ja! Tut das!« Dr. Spindler war ein guter Redner und ein geübter Rhetoriker. Er würde dafür sorgen, dass alles wieder gut würde.
    Sie baten Claudius, sie unverzüglich zurück in die Stadt zu fahren. An der Lorenzkirche ließ der Kutscher Donatus aussteigen, und während Dr. Spindler zum Lochgefängnis fuhr, machte der Bader sich auf den Weg nach Heilig-Geist.
    Er überquerte die Pegnitz auf der Spitalbrücke. Seine Schritte klangen dumpf auf den dicken Bohlen, und das Geräusch katapultierte ihn für einen Augenblick zurück in die Vergangenheit.
    Er war diese Brücke schon einmal mit einem ähnlichen Gefühl von Angst und Verzweiflung entlanggegangen. Damals, als sie ihn aus Heilig-Geist rausgeworfen hatten. Damals …
    In seinem Kopf begannen Gedanken und Erinnerungen wieder ihren irren Reigen. Bilder rasten an seinem geistigen Auge vorbei. Kilians blasses Gesicht mit den Wassertropfen auf den Wangen. Dr. Spindlers Stimme, die sagte: »Es tut mir so unendlich leid, Donatus!« Die Melodie, die Tobias im Fischerhaus gepfiffen hatte – und eben auch auf dem Henkerskarren. Diese Melodie …
    Donatus pfiff die wenigen Töne. Jeder Einzelne brannte auf seinen Lippen wie Säure.
    Und in diesem Moment fielen die vielen kleinen Mosaikteilchen zu einem Bild zusammen, zu einem Bild, das er längst hätte sehen

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