Madonna
einen erschrockenen Fluch auszustoßen. »Bei Gott!«
Das war der Moment, in dem es Richard aus dem Bett und ans Fenster trieb. Er musste sich ein ganzes Stück weit vorlehnen, um einen Blick auf die Versammlung unten im Hof zu erhaschen, aber dann sah er den Wirt, seinen Bruder und eine kleine Gruppe von fünf Fremden. Der Mann in ihrer Mitte schien verletzt zu sein, jedenfalls war er es, auf dessen Gestalt Reuthers Blick erschrocken ruhte.
»Euer Arm!«, ächzte der Wirt.
Richard, der sich in Hemd und Hose hingelegt hatte, schlüpfte in die Reitstiefel und verließ sein Zimmer. Fast hätte er sich in den winkeligen Gängen verirrt, die hier oben kreuz und quer über den in kleine Kammern eingeteilten Dachboden liefen, doch dann fand er den Treppenabgang, hastete hinunter und stand im nächsten Moment hinter der Menschenansammlung im Hof.
Man bemerkte ihn nicht sofort, und das gab ihm die Gelegenheit, die Neuankömmlinge etwas näher zu betrachten. Der Bruder des Wirtes hatte die Laterne übernommen, und in ihrem Licht sah Richard, dass es sich bei den Fremden um eine Gruppe von Spielleuten zu handeln schien. Zwei von ihnen hatten Lauten dabei, einer eine Fiedel und ein paar Handtrommeln. Keiner von ihnen trug ein Schwert oder Waffen irgendwelcher Art.
Der Verletzte trat nun einen Schritt vor, und das bot Richard die Gelegenheit, einen Blick auf ihn zu werfen.
Scharf zog er Luft durch die Zähne.
Mit der unverletzten Hand presste der Spielmann seinen Oberarm gegen den Brustkorb, doch das Ellenbogengelenk war auf fürchterlich anzuschauende Weise nach außen verdreht. Der Unterarm stand in einem völlig unnatürlichen Winkel vom Körper ab, das Gelenk sah aus wie ein nasses Handtuch, das man mit aller Kraft ausgewrungen hatte. Im schwachen Licht der Laterne glaubte Richard die spitzen Knochen zu erkennen, die sich unter der blassen Haut des Verletzten abzeichneten.
»Das ist ausgerenkt!«, sagte er mit so ruhiger Stimme wie möglich.Auf seine Worte hin drehten sich alle zu ihm um. Das Gesicht des Verletzten war mit kaltem Schweiß bedeckt, und bei diesem Anblick bekam Richard eine ungefähre Vorstellung davon, wie schmerzhaft die Verletzung sein mochte.
Hoffnung erschien auf der Miene des größten der Spielleute, eines wahren Hünen, der alle anderen um fast zwei Haupteslängen überragte. »Seid Ihr heilkundig?«, fragte er, und Richard erkannte die tiefe Stimme, die eben noch Einlass verlangt hatte.
Beinahe hätte er verneint. Doch dann wurde ihm klar, dass er wahrscheinlich der einzige Mensch mit wenigstens einem Ansatz medizinischen Wissens im Umkreis von einem halben Tagesritt war. Sein Blick fiel in die vor Schmerz flackernden Augen des Verletzten. Langsam nickte er und hoffte dabei, sich nicht zu viel anzumaßen. »Wie ist Euer Name?«, fragte er den Verletzten.
»Dietrich.« Der Mann fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe, dann warf er einen Blick auf Richards teure Kleidung und besann sich auf sein gutes Benehmen. »Herr«, setzte er hinzu. Er war schmächtig, Richard schätzte ihn auf knapp zwanzig Jahre. Seine dürren Beine steckten in einer Art Fellstiefel, die mit über Kreuz gebundenen Leinenstreifen um seine Unterschenkel gewickelt waren, und darüber trug er Hose und Wams, die mit bunten Flicken in den verschiedensten Farben – allesamt stark verblichen – versehen waren.
»Könnt Ihr ihm helfen?«, erkundigte sich der Hüne. Er war beinahe ebenso blass wie Dietrich. »Wir können Euch auch dafür bezahlen!«
Richard rieb sich das Kinn. Noch hatte er sich nicht so recht daran gewöhnt, dass sich dort kein Bart mehr befand. »Ich hoffe, dass ich ihm helfen kann«, sagte er. »Aber ich verlange keinen Lohn dafür.« Dann richtete er den Blick auf den Wirt. »Wir müssen reingehen. Ich brauche mehr Licht.«
Reuther schien nicht besonders begeistert darüber, eine Gruppe von Spielleuten in sein Haus einzuladen. Richard fragte sich, ob er Angst vor diesen Männern hatte oder ob er einfach nur um seine Einnahmen fürchtete. Dietrich und seine Begleiter sahen nicht so aus, als könnten sie auch nur ein warmes Essen, geschweige denn eine ganze Nacht in diesem Haus bezahlen.
Richard kümmerte sich nicht um die missmutige Miene des Wirtes. Im Zweifelsfall, dachte er, würde er für die Unkosten aufkommen.Für ihn wäre es ein Leichtes. Doch darüber konnte er sich später Gedanken machen. Jetzt galt es zunächst einmal, dem armen Teufel hier seinen Arm wieder einzurenken.
Hoffentlich
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