Madonna
verwelkte Gras vor ihrer Haustür und stieß die Stalltür auf. Dumpfer Viehgeruch schlug ihr entgegen. Sie hasste ihn. Sie hasste die Kühe, diese winzige Hütte, in der sie hausen musste. Sie hasste ihren saufenden Ehemann, ihr gesamtes erbärmliches Leben.
Seufzend griff sie nach dem Eimer, der neben der Stalltür stand, und trat neben die erste der drei Kühe, die sie ihr Eigen nannte.
Sie hätte eben doch auf ihre Mutter hören sollen. Die hatte sie mehr als einmal vor einer Ehe mit Vinzent gewarnt.
Jetzt aber war es zu spät. Sie war durch ihr heiliges Eheversprechen an diesen Nichtsnutz gekettet, weil sie in einem Anfall von Dummheitvor Gott versprochen hatte, ihn zu lieben und ihm zu gehorchen. Gehorchen! Ein bitteres Lachen stieg in Lisas Kehle nach oben. Das Einzige, was Vinzent mit schönster Regelmäßigkeit von ihr verlangte, war, sich hinzulegen und die Beine breit zu machen. Wenn er wenigstens Vernügen an dieser Sache gefunden hätte, aber manchmal hatte sie das Gefühl, er lag nur bei ihr, weil er es für seine Pflicht hielt, Kinder zu zeugen.
Da hatte er allerdings die Rechnung ohne sie gemacht!
Lisa grinste und rieb sich den schmerzenden Unterleib. Eigentlich konnte sie ganz froh sein über diese Schmerzen, zeigten sie ihr doch, dass ihre Bemühungen, eine Empfängnis zu verhindern, auch in diesem Monat wieder erfolgreich gewesen waren. Auf keinen Fall, das hatte sie sich schon vor einigen Jahren geschworen, würde sie sich auch noch durch plärrende Blagen an diesen Nichtsnutz von Mann binden lassen.
Lisa stellte den Eimer unter die erste Kuh, dann zog sie sich den Melkschemel heran und machte sich an die Arbeit.
Eine gute Stunde später war sie fertig. Sie hatte die Milch auf zwei kleine Fässer und ein größeres aufgeteilt. Eines der beiden kleinen würde sie für sich und ihren Mann behalten. Heute Abend wollte sie aus Hafer und Milch einen Brei kochen. Sie hatte noch ein wenig Honig übrig, und vielleicht konnte sie sich ihr Schicksal auf diese Weise wenigsten ein bisschen versüßen. Das zweite kleine Fässchen würde sie heute Nachmittag nach nebenan bringen. Grete, Lisas Nachbarin, war zu alt, um sich noch um Vieh zu kümmern. Darum hatte sie vor einigen Monaten ihre Kuh Lisa und Vinzent überlassen. Dafür beteiligte Lisa sie zum einen an dem mageren Gewinn, den sie auf dem Markt für die Milch erzielte, und zum anderen brachte sie ihr jeden Tag ihren Anteil an der Milch.
Das dritte Fass hingegen, das größere der drei, schnallte Lisa nun auf ihre Kiepe und hob diese dann auf den Rücken. Sie war leicht, das war nicht gut, denn es bedeutete, dass Lisa heute nur wenig Geld verdienen würde.
Aber wenigstens musste sie nicht so schwer schleppen! Sie klemmte die Daumen unter die Schultergurte der Kiepe, verteilte das Gewicht etwas angenehmer und machte sich auf den Weg in die Stadt.
Die Tore würden gleich geöffnet werden. Frühmorgens ließ sich Milch am besten verkaufen, also würde sie sich beeilen müssen.Heute hatte sie Glück. Kaum war sie auf dem Markt angekommen, trat ein livrierter Diener irgendeiner reichen Patrizierin zu ihr und bat sie, ihre Milch probieren zu dürfen. Er fand sie ausreichend fettig, sie einigten sich auf einen Preis, und so kam es, dass Lisa ihren gesamten Vorrat bereits kurz nach Sonnenaufgang verkauft hatte. Zwar musste sie noch einige Zeit warten, bis zwei junge Männer mit einem leeren Fass kamen, in das sie Lisas Milch umfüllen konnten, aber auch das war schließlich erledigt. In Lisas Schürze klimperten die Münzen, ihr schmerzender Unterleib hatte etwas Ruhe gegeben. Darüber hinaus schienen die paar Schneeflocken von heute Morgen die einzigen zu bleiben. Lisas Laune besserte sich von Augenblick zu Augenblick.
»Sag mal!«, sprach ihre Standnachbarin, eine Bäuerin mit Namen Rotraud, sie an. »Weißt du, wo Gertrud heute bleibt?« Rotraud wies auf den leeren Platz, an dem Gertrud sonst ihre Eierkiepe abstellte. Die Hürde glänzte in der morgendlichen Helligkeit leicht feucht.
Lisa schüttelte den Kopf. »Hoffentlich ist sie über Nacht nicht krank geworden!«
Rotraud hatte die Arme in die Hüften gestemmt. »Du bist doch für heute schon fertig«, meinte sie. »Kannst du nicht mal nachsehen gehen, wo sie bleibt?«
Lisa unterdrückte ein Seufzen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich den Rest des Tages ein paar angenehme Stunden zu machen. Sie wollte gerade einen Vorwand anbringen, da überkam sie das schlechte Gewissen. Gertrud hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher