Madonna
hatte er immer wieder einmal von ihr gehört, und ab und an war sie ihm auch in der Stadt über den Weg gelaufen. Er wusste, dass sie noch immer nicht wieder geheiratet hatte, obwohl ihr Mann inzwischen fast zwei Jahre tot sein musste. Er wusste auch, dass der Mann, den sie offenbar liebte, dieser Richard Sterner, die Stadt feige verlassen hatte.
Katharina Jacob.
War sie also doch eine Hexe! Dieser Verdacht war ihm bereits mehr als einmal gekommen, doch er hatte ihn bisher immer weit von sich geschoben. Verflixt, er hätte sich sogar vorstellen können, diese Katharina nach Richhild zu seiner neuen Frau zu machen. Aber eine Hexe heiraten?
Bedauern rann durch seine Adern. Seine Hand tastete nach Kramers Geldbörse, die er auf seinem Nachtkästchen abgelegt hatte, als er zu Bett gegangen war.
Katharina. Eine Hexe. Was, wenn nicht? Was, wenn Kramer sich täuschte?
Aber er ahnte, dass er sich etwas vormachte. Er hatte dem Inquisitor versprochen, ihm Katharina auszuliefern, und er war ein Mann, der seine Versprechen hielt.
Langsam ließ Silberschläger sich wieder in die Kissen sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. In der Kammer über ihm verstummten die Schritte der Dienstmagd. Silberschläger stellte sich vor, wie sie sich das Kleid über den Kopf streifte und der Mond auf ihrer hellen Haut schimmerte. Doch als er die Augen schloss und versuchte, das Bild festzuhalten, da hatte die Magd plötzlich Katharinas Gesicht.
Nachdem Georg Öllinger gegangen war, saß Katharina noch eine Weile allein in der von Dampfschwaden erfüllten Küche und grübelte vor sich hin.
Es dauerte einige Minuten, bis Donatus zu ihr zurückkehrte. Offenbar hatten er und Öllinger an der Haustür noch einiges zu besprechen gehabt. Er nahm den Kessel vom Feuer und riet Katharina, schlafen zu gehen.
Zu matt, um zu protestieren, gehorchte sie.
Auf ihrem Weg nach oben läutete es erneut an der Haustür, aber sie war zu erschöpft, um kehrtzumachen und wieder nach unten zu gehen. Wie festgewachsen blieb sie einfach mitten auf der Treppe stehen und sah zu, wie Donatus öffnete.
»Ist Frau Jacob da?«, fragte eine Stimme, und als Donatus unwillig abwiegelte, fügte sie hinzu: »Ich komme wegen ihrer Mutter.«
Katharina beugte sich über das Geländer der Treppe und sah nach, wer vor der Tür stand. Es war Johannes, einer der Scholaren des Spitals. Sie überwand ihre Müdigkeit und kehrte nach unten zurück.
»Schickt sie Euch?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Sie weiß nicht, dass ich hier bin.« Er sagte das, weil er wusste, dass Mechthild oftmals ohne Grund nach Katharina schickte und dass es zwischen den beiden deswegen schon des Öfteren Streit gegeben hatte.
Nun doch ein wenig beunruhigt, sah Katharina ihn an. »Ist sie krank?«
Wieder schüttelte er den Kopf. »Ich weiß nicht«, sagte er jedoch. »Sie wirkte vorhin ein wenig mitgenommen, aber das kann auch daran liegen, dass heute der Spitalmeister ermordet wurde.«
Katharina wollte etwas sagen, aber Donatus kam ihr zuvor. »Kümmert sich jemand um sie?«
»Soweit ich weiß, ist Dr. Spindler zu ihr gegangen.«
»Gut!« Donatus blickte Katharina an. »Morgen ist auch noch Zeit dafür.«
Die Müdigkeit überrollte sie jetzt in Wellen. Sie überlegte kurz, dann nickte sie. »Ich gehe morgen zu ihr.«
Johannes schien mit dieser Entscheidung nicht ganz glücklich, aber er akzeptierte sie. »Danke.«
Katharina gab Donatus einen Wink, und er machte dem jungen Mann die Tür vor der Nase zu. Danach fiel es ihr schwer, zur Ruhe zu kommen, und der Schlaf, in den sie schließlich glitt, war oberflächlich und unruhig. Als aus Tobias’ Kammer ein unterdrückter Schrei kam,fuhr sie in die Höhe. Ein Kribbeln erfasste ihren Körper, das sich anfühlte, als liefen Tausende Ameisen über ihre Haut.
Sie rieb sich die Oberarme.
Ein Murmeln erklang nebenan, Katharina glaubte die Worte »Virgo gloriosa« und »benedicta« zu hören. Tobias betete.
Einem Impuls folgend, schwang Katharina die Beine aus dem Bett, entzündete die Talglampe auf ihrem Nachtkästchen und tappte damit zu Tobias’ Kammertür. Hier draußen auf dem Flur waren die Worte deutlich zu verstehen, die der Junge vor sich hinmurmelte.
»… a periculis cunctis libera nos semper, Virgo gloriosa et benedicta! «
Erlöse uns jederzeit von allen Gefahren, o du glorreiche und gebenedeite Jungfrau.
Behutsam legte Katharina die Hand auf die Klinke und drückte sie nach unten. Die Tür war noch immer
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