Madonna
Konrad Rotgerber tot war. Sie dachte an das eigenartige Gespräch mit Arnulf gestern Abend, seine Bemühungen, sie zu beschützen, seine Warnung vor dem Spitalmeister, aber sie schob beides von sich. Schuldgefühle übermannten sie, weil sie nach der Nachricht, dass der Spitalmeister ermordet worden war, nicht mehr die Kraft aufgebracht hatte, ihren Vorsatz einzuhalten und Donatus nach den unheiligen Vorgängen in Heilig-Geist zu befragen.
Wie eine Tote war sie stattdessen auf ihr Bett gefallen.
Jetzt, im fahlen Morgenlicht, fühlte es sich an, als habe sie Tobias im Stich gelassen. Sie seufzte, als ihr bewusst wurde, dass sie trotz all der furchtbaren Vorkommnisse von Richard geträumt hatte. Als sie daran dachte, was er im Traum mit ihr getan hatte, fühlte sie sich elend und schmutzig. Ihr Kopf schien mit zu vielen Gedanken vollgestopft.
Ihr Blick wanderte zu Dr. Spindlers Buch auf ihrem Nachtkästchen.
Seufzend erhob sie sich, wusch sich Gesicht und Hände, dann flocht sie rasch ihre Haare zu einem Zopf und steckte ihn am Hinterkopf fest. Nachdem sie ihr Kleid übergeworfen hatte, trat sie aus ihrem Zimmer hinaus auf den Flur.
Hiltrud kam ihr entgegen und grüßte sie freundlich. »Guten Morgen, Katharina!«
Katharina lächelte die Frau an, die auf einen Stock gestützt über den blanken Holzfußboden humpelte. »Guten Morgen! Wie geht es deinem Knie heute?«
Hiltrud sah an sich hinunter. »Geht schon.« Sie trug einen langen, taubengrauen Rock, der ihre Beine komplett verhüllte, so dass Katharina nur anhand ihres unbeholfenen Ganges sehen konnte, dass sie Schmerzen hatte.
»Wenn du magst, komm nachher in die Apotheke«, schlug sie ihrvor. »Ich habe ein Mittel gegen die Schmerzen, das ich dir geben kann.«
Sie ahnte, was jetzt kommen würde, und sie wurde nicht enttäuscht.
»Der Herrgott hat uns die Schmerzen gegeben, um uns demütig zu machen«, sagte Hiltrud. »Es ist Sünde, sie zu unterdrücken.«
Katharina kannte diese Redeweise zur Genüge. Sie war es leid, darüber zu disputieren, also nickte sie nur. »Wie du willst. Bist du auf dem Weg zur Kapelle?«
Die Kapelle war, ebenso wie die Apotheke, ein kleiner Raum im Erdgeschoss des Fischerhauses. Katharina hatte dort mehrere Bänke aufstellen lassen und einen Tisch, auf dem ein hölzernes Kruzifix stand. Zwei massive Kerzenleuchter aus Silber waren das einzig Wertvolle, was diese Kapelle an Ausstattung besaß. Sie hatten ursprünglich einer der Frauen gehört, die das Fischerhaus beherbergte. Als sie eingezogen war, hatte sie der Gemeinschaft die wertvollen Gerätschaften überlassen. Wie Katharina wusste, trafen sich einige der Frauen regelmäßig jeden Morgen nach dem Aufstehen in der Kapelle, um gemeinsam zu beten und einige Lieder zu singen.
»Die anderen haben mich gebeten, dich anzusprechen«, sagte Hiltrud nun. Sie wirkte etwas unsicher. »Sie sagen, dass wir einen Priester benötigen, der bei uns regelmäßig die Messe liest. Es reicht ihnen nicht mehr, nur für sich selbst zu beten.«
Katharina nickte langsam. »Wir haben jeden Sonntag eine Messe«, gab sie zu bedenken. Das kostete bereits eine gute Stange Geld. Geld, das sie selbst viel lieber für Medizin oder neue, bessere Betten ausgegeben hätte, um den kranken Frauen ihr Los zu erleichtern.
»Es reicht den Frauen nicht«, sagte Hiltrud. »Sie sorgen sich um ihr Seelenheil. Sie wollen eine tägliche Messe, genau wie in Heilig-Geist.«
Bei dem Namen »Heilig-Geist« dachte Katharina daran, dass sie heute ja auch noch zu ihrer Mutter musste. Allein der Gedanke fühlte sich an, als bestünde er aus zentnerschweren Mühlsteinen. Katharina beschloss, diesen Gang irgendwann am Vormittag zu erledigen.
»Heilig-Geist«, sagte sie zu Hiltrud, »hat sehr viel mehr Mittel zur Verfügung als wir.« Genug, um nicht nur einen Priester zu bezahlen, sondern gleich sechs. In Heilig-Geist war es selbstverständlich, dass an jedem Tag mindestens eine Messe gefeiert wurde.
»Sieh mich nicht so vorwurfsvoll an!« Abwehrend hob Hiltrud dielinke Hand, die sie nicht für ihre Krücke brauchte. »Ich gebe nur weiter, was die Frauen mir aufgetragen haben.«
Katharina war sich sicher, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Soweit sie wusste, war Hiltrud die treibende Kraft in dieser Angelegenheit. Hiltrud redete den anderen Frauen ein, dass es unbedingt notwendig war, eine tägliche Messe zu feiern. Und so musste sich Katharina mit diesem Thema wieder und wieder herumschlagen.
Wie lässt sich deine
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