Madonna
Stockwerk, sondern eines darunter. Katharina wandte sich der Treppe zu, und in dem Moment, in dem sie ihre Hand auf das Geländer legte, durchfuhr sie ein scharfer Schmerz. Beinahe hätte sie die Lampe fallen lassen. Sie taumelte, presste die freie Hand auf den Unterleib und holte mehrmals tief Luft, bevor der Schmerz nachließ.
Herr im Himmel, was war das bloß?
Langsam richtete sie sich wieder auf, lauschte in sich hinein, und gerade, als sie glaubte, der Anfall sei vorüber, blitzte ein Bild in ihrem Gedächtnis auf. Sie sah eisblaue Augen, hörte ein schweres Keuchen dicht an ihrem Ohr, ganz kurz nur, doch so intensiv, dass sie erneut ins Taumeln geriet.
Burckhard!, kreischte eine Stimme in ihrem Kopf.
Nur mit äußerster Willensanstrengung gelang es Katharina, sich auf den Beinen zu halten. Sie klammerte sich an das Geländer, wartete, und dann, so schnell, wie die Bilder und Geräusche gekommen waren, verflogen sie auch wieder. Woher kamen sie bloß? Burckhard. Sie hatte den Namen noch nie zuvor gehört. Tief holte sie Luft.
Dann setzte sie ihren Weg fort. Sie klopfte an Donatus’ Zimmertür, erst leise, um die anderen Bewohner des Hauses nicht zu wecken, dann lauter.
»Donatus?«, rief sie. »Mach auf!«
Aber nach einigen Augenblicken musste sie einsehen, dass Donatus nicht da war.
Sie war eben wieder auf dem Weg zu ihrer Kammer, als sie die Haustür gehen hörte.
»Donatus?« Sie wandte sich um. Mit schnellen Schritten lief sie die Treppe ganz nach unten.
Es war tatsächlich Donatus, der die Tür zurück ins Schloss drückte und sich dann aus seinem Mantel schälte. Er wirkte abgehetzt und bleich. Schweiß stand auf seiner Stirn, und er atmete schwer.
»Bist du gelaufen?«, war alles, was Katharina zu sagen wagte.
Eine Stimme in ihrem Hinterkopf stellte die Frage, deren Antwort sie wirklich wissen wollte.
Wo warst du?
Donatus nahm auch seinen Hut ab, hängte ihn an den Haken. »Ja. Ich brauchte ein bisschen frische Luft.«
Katharina dachte daran, was Tobias ihr eben erzählt hatte. Die gepfiffene Melodie hallte in ihrem Kopf wider, und es war ihr unmöglich, sie zu ertragen. Sie schluckte schwer, suchte nach den passenden Worten, mit denen sie Donatus auf das Thema ansprechen konnte.
Die Vorstellung, dass er, ebenso wie Tobias, dieses nächtliche Pfeifen gehört hatte, dass er mit seinem Peiniger mitgehen musste und dann aushalten, was auch immer der Kerl mit ihm angestellt hatte, war fast zu viel für sie. Sie umklammerte das Treppengeländer.
Sie hatte den Mund schon geöffnet, um etwas zu sagen, als Donatus ihr zuvorkam. Fahrig wischte er sich über das breite Gesicht. In seinen Augen flackerte etwas, das sie nicht zu deuten wusste.
»Ich war in Heilig-Geist«, sagte er mit rauer Stimme. »Rotgerber ist ermordet worden.«Lisa öffnete die Tür ihrer Hütte und starrte missmutig in den noch stockfinsteren Morgen hinaus. Waren das etwa Schneeflocken, die dort vom Himmel fielen? Sie streckte die Hand aus und fing einige der weißen Gebilde ein. Mit einem Seufzen starrte sie sie an und sah zu, wie sie auf ihrer bloßen Haut zu kleinen Wassertropfen zerschmolzen. Tatsächlich. Schnee.
Das hatte ihr noch gefehlt! Erst musste sie in aller Herrgottsfrühe aufstehen, um die dämlichen Kühe zu melken, die in dem an die Hütte angrenzenden Stall bereits ungeduldig an ihren Ketten zerrten. Dann hatte sie festgestellt, dass sie heute Morgen ihre monatliche Blutung bekommen hatte und ihr Unterleib sich anfühlte, als habe ihr jemand ein Messer hineingerammt und es einmal umgedreht. Und jetzt musste es auch noch anfangen zu schneien, und das, obwohl der November noch nicht einmal begonnen hatte. Es würde ein harter Winter werden, das hatte Vinzent, Lisas Mann, schon vor ein paar Tagen behauptet, und es bereitete ihr nicht das geringste Vergnügen, dem Idioten auch noch recht geben zu müssen.
»Mach die Tür zu, Weib!«, hörte sie von drinnen die verschlafene Stimme ihres nichtsnutzigen Ehemannes. »Man friert sich ja die Eier ab!«
Mit einem missmutigen Fluch auf den Lippen trat Lisa vor die Hütte. Warum musste ausgerechnet sie an einen solchen Taugenichts und Säufer geraten? Andere Männer waren um diese Tageszeit bereits auf den Beinen und sahen zu, für ihre Familie etwas zu essen heranzuschaffen. Wie sie Vinzent kannte, würde er immer noch im Bett liegen, wenn sie heute Nachmittag vom Markt kam und ihm die mageren Erlöse vom Verkauf der Milch aushändigen musste.
Sie stapfte durch das
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