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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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zum Schwingen bringt. Ja, es ist seltsam, aber der gleiche Satz bekommt einen anderen Sinn, wenn Robbie ihn in seiner Sprache spricht. Bei dem Inder klingt er wie ein Grabgeläute,während bei Robbie Stoizismus und das Echo heroischer Tugenden zum Ausdruck kommen.
    Ich gerate einen Augenblick in Verwirrung, während ich zwischen zwei Deutungen desselben Gedankens hin und her schwanke, aber ich bin wohl nicht mehr jung genug und habe nicht mehr den Überschwang und die Illusionen, um mich für Robbies Deutung zu entscheiden. Wie könnte ich mir den Tod als eine glückliche Zeit vorstellen, der man in der Frische des Abends mit kühnen Gefährten entgegenjagt? So trägt bei mir schließlich die Interpretation des Inders den Sieg davon. Und ich erstarre meinerseits, wende den Blick von Robbies Gesicht ab und schlage die Augen nieder.
    Von der Nutzlosigkeit jeglicher Diskussion mit dem Inder überzeugt, sind Blavatski und Caramans verstummt, der eine mit verhaltenem Zorn, der andere mit steifer Würde. Und niemand hat Lust, an ihrer Stelle das Gespräch wieder aufzunehmen. Das Schweigen lastet auf uns wie ein Bleideckel.
    Auf die Dauer leidet man in einem Flugzeug ohnehin schon an Klaustrophobie. Aber das indische Paar hat uns innerhalb des einen Kerkers in einen zweiten gesperrt: Das Entsetzen und der Gedanke an den Ablauf des Ultimatums fesseln unsere Hände an die Sessellehnen.
    Als der Inder gesagt hatte – und in welchem Ton! –, daß nur noch fünfundvierzig Minuten Zeit blieben, hatte ich auf meine Uhr gesehen, und ich blicke wieder auf die Uhr und stelle erstaunt fest, daß seither kaum fünf Minuten vergangen sind. Wir haben also noch vierzig Minuten tödlicher Angst durchzustehen. Die Zeit scheint zu kriechen, ich wage kaum zu sagen: wie ein blindes Ungetüm im Modder, aber dieses Bild zwingt sich mir mehrere Male auf.
    Und mir wird klar: am unerträglichsten für einen vom Tod bedrohten Gefangenen, dem Flucht und Revolte unmöglich sind, ist die Passivität. Ein solcher Mann hat buchstäblich nichts zu tun, nichts zu hoffen, nichts zu sagen und schlimmstenfalls auch nichts zu denken, außer daß sein Denken mit seinem Körper erlöschen wird. Gerade dieser Vorgeschmack auf das Nichts ist so gräßlich.
    Der Inder läßt seinen Blick über uns schweifen, und ich habe das Gefühl, daß ihm unsere Apathie mißfällt. Denn er läßt seine dunklen Augen nach allen Richtungen herausforderndblitzen, wohl in der Erwartung, uns anzustacheln und die Diskussion wieder zu beleben. Aber alles ist vergeblich. Wir sind so hoffnungslos niedergeschlagen, ein jeder ist in seiner Mutlosigkeit so von den anderen isoliert, daß keiner daran denkt, unserem Henker entgegenzutreten, nicht einmal mit Worten.
    »Gentlemen«, sagt er nach ein oder zwei Minuten des Schweigens, »meine Assistentin wird jetzt mit einer Tasche herumgehen. Legen Sie bitte Ihre Uhren, Trauringe, Siegelringe und sonstigen Schmuckstücke hinein. Das gilt selbstverständlich auch für die Damen.«
    Erstauntes Schweigen.
    »Haben Sie Einwände?« fragt der Inder.
    »Sie enttäuschen mich«, sagt Blavatski. »Ich hatte Sie für einen Politiker gehalten.«
    »Wie typisch«, sagt der Inder. »Und wie heuchlerisch. Ich würde Sie viel mehr enttäuschen, wenn ich ein den Ansichten Ihrer Regierung feindlich gesinnter Politiker wäre. Weitere Einwände?«
    Wieder Schweigen. Ich glaube, alle sind dankbar, als Caramans sagt: »Aber das ist doch Diebstahl.«
    Wie immer, wenn Caramans in die Schranken tritt, zeigt sich in den Augen des Inders ein Schimmer von Belustigung.
    »Sie können es so nennen. Das stört mich nicht. Aber Sie könnten auch in Erwägung ziehen, daß es sich um einen Akt geistiger Entsagung handelt. Sie vor allem, Monsieur Caramans, der Sie doch Christ sind …«
    Aber Caramans will sich nicht auf dieses Gelände begeben.
    »Wenn Sie kein Politiker sind«, sagt er mit einer gewissen Dreistigkeit (und der französischen Manie, alles definieren zu wollen), »was sind Sie dann?«
    Der Inder ist mitnichten ungehalten. Er scheint im Gegenteil zufrieden zu sein, daß sich ihm eine Gelegenheit bietet, seine Identität zu präzisieren. Er tut es jedoch mit einer so augenfälligen Ironie und in einem so zweideutigen Tonfall, daß wir uns danach immer wieder fragen werden, ob er im Ernst gesprochen hat.
    “I am a highwayman”
1 , sagt er gewichtig, aber mit einem Lächeln in seinen dunklen Augen.
    »Wie? Wie?« fragt die Murzec. Und sie fügt in echtem

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