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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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mir gegenüber. Seine Reaktionen scheinen ihn eher zu belustigen.
    »Ihre Hypothese ist wenig wahrscheinlich«, sagt er, die linke Hand lässig auf die Waffe gelegt, die auf seinem Knie liegt.
    »Und doch ist sie nicht auszuschließen.«
    »Leider nein«, sagt der Inder gelassen, »und sollte sie sich als zutreffend erweisen … (Er sieht erneut auf seine Uhr.) Das Weitere kennen Sie, Monsieur Caramans, ich habe nicht das Bedürfnis, mich zu wiederholen.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie so kaltblütig sein könnten!« sagt Caramans mit plötzlicher Leidenschaftlichkeit, aber, das muß ich sagen, ohne jede Spur von Angst.
    Der Inder lächelt ein wenig und sagt kurz angebunden: »Sie irren sich.«
    »Aber das ist abscheulich«, entgegnet Caramans und fährt mit einer Rhetorik, die mich etwas ärgert, fort: »Wehrlose Geiseln hinzurichten bedeutet, alle göttlichen und menschlichen Gesetze zu verletzen.«
    »Oh, die göttlichen Gesetze!« Der Inder hebt seine Hand waagerecht empor und beschreibt einen weiten Bogen, bevor er sie auf die Sessellehne zurückfallen läßt. »Sagten Sie wirklich: die göttlichen Gesetze? Kennen Sie diese Gesetze?«
    »Wie alle Menschen, die an eine Offenbarung glauben«, sagt Caramans mit einer Festigkeit, die ich persönlich recht eindrucksvoll finde.
    In den Augen des Inders wird ein Schimmer von Belustigung sichtbar. »Wenn Sie sie kennen«, sagt er, »müssen Sie es wissen: Sie sind sterblich erschaffen worden. Sie leben nur,
um zu sterben.
«
    »Aber keineswegs!« entgegnet Caramans heftig. »Dieses ›um zu‹ ist ein teuflischer Sophismus. Wir leben. Und unser Endzweck ist nicht der Tod, sondern das Leben.«
    Sein Gesprächspartner lacht verhalten. Verhalten, was die Lautstärke betrifft, nicht die Dauer, denn sein Lachen scheint überhaupt kein Ende zu nehmen. Der Inder hat offensichtlich einen besonders makabren Humor, denn von allem, was Caramans zuvor sagte, hat ihn nichts so belustigt wie dieses Bekenntnis zum Leben.
    »Sehen Sie, Monsieur Caramans, Sie gleichen einem Kind, das sich hinter einen ganz dünnen Baumstamm stellt, um sich zu verstecken«, fährt er fort. »Wie können Sie – und sei es nur eine Stunde lang – leben und so tun, als kennten Sie Ihre Bestimmung nicht?« Er macht eine Pause, in der er mit seinem Blick einen Kreis beschreibt, so als wendete er sich an einen jedenvon uns, und sagt nachdrücklich, jedes Wort betonend:
«Ce n’est pas parce que vous évitez de penser à la mort, que la mort va cesser de penser à vous.»
    Dieser Satz und die Art, wie er ihn ausspricht, hat auf mich eine außerordentliche Wirkung. Ich fühle mich versteinert. Ich habe wenig Neigung zum Romanesken und schon gar nicht zum Übernatürlichen, doch würde man mir sagen, daß der Tod vor meinen Augen plötzlich die Gestalt des Inders angenommen hat, würde ich es glauben. Auf jeden Fall bin ich überzeugt, daß die in mir aufsteigende intensive Kälte auch meine Reisegefährten erfaßt hat, denn auch sie scheinen wie Wachsfiguren in einem Museum zu erstarren.
    Gleichzeitig merke ich, daß meine Hände zittern. Enttäuscht stelle ich fest, daß die Stewardess meinen Blicken ausweicht, obwohl sie spüren muß, mit welcher Verzweiflung, mit welchem Trostbedürfnis ich versuche, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Auf der Suche nach ein bißchen Sympathie und einem menschlichen Blick durcheile ich den Kreis, sehe aber überall nur gesenkte Stirnen, reglose Gesichter und abgewandte Augen. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Robbie.
    Es trifft mich wie ein Schlag, als unsere Blicke sich begegnen. Er ist nicht erstarrt. Ganz im Gegenteil. Er hat eine frische Farbe und sieht mir ins Gesicht, als ob er froh wäre, endlich einen Zeugen zu finden. Und kaum hat sein Blick den meinen eingefangen, ruft er schwärmerisch: »Ach, wie liebe ich diesen Satz!«
    »Welchen Satz?« frage ich erstaunt.
    »Den wir eben gehört haben!« Und den Kopf erhoben, rezitiert er mit einem fröhlichen Schwung seines ganzen Körpers:
«Ce n’est pas parce que vous évitez de penser à la mort …»
    Er bricht ab. Die Augen begeistert auf mich gerichtet, wiederholt er den Satz langsam auf deutsch, so als ob er sich daran berauschte und darin voller Verzückung die Maxime seiner Existenz fände:
»Sosehr ihr vermeidet, an den Tod zu denken, denkt doch der Tod an euch.«
    Ich gebe hier die deutsche Fassung wieder, weil sie mich am stärksten berührt und meine Sensibilität auf geheimnisvolle Weise

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