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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Schulenglisch hinzu:
“I do not understand.”
    Ich will schon übersetzen, doch der Inder hebt die Hand, wirft mir einen seiner lähmenden Blicke zu und wiederholt, an die Murzec gewandt, langsam, mit sorgfältiger Betonung der einzelnen Silben:
“I am a highwayman.”
    “I see”
, sagt die Murzec, aber ich weiß nicht, was sie tatsächlich versteht, denn sie scheint tief beeindruckt zu sein und betrachtet den Inder fortan mit neuer Achtung.
    Plötzlich geht ein Zucken durch die Luft. Die Augen des Inders werden hart, und sein funkelnder Blick richtet sich mit flammender Intensität auf Chrestopoulos. Mit der linken Hand, die eben noch lässig auf seiner Waffe ruhte, legt er auf den Griechen an. Ich vermag die Geschwindigkeit dieser Bewegung nicht zu beschreiben. Ich habe den Eindruck, daß sie nicht einmal in Bruchteilen von Sekunden meßbar ist.
    »Bleiben Sie ganz ruhig, Mr. Chrestopoulos«, sagt der Inder.
    Bleich und schwitzend sieht Chrestopoulos ihn an. Sein dichter schwarzer Schnurrbart zittert über seiner wulstigen Lippe.
    »Ich habe doch nichts getan«, sagt er kläglich. »Ich habe nicht einmal die Hände bewegt.«
    »Leugnen Sie nicht«, sagt der Inder, ohne die Stimme zu heben, jedoch mit unvermindert scharfem Blick. »Sie wollten sich auf mich stürzen: ja oder nein?«
    Die Augen des Inders haben auf Chrestopoulos eine verheerende Wirkung. Man könnte meinen, ein Laserstrahl habe ihn in Höhe der Lunge durchbohrt. Er windet sich am ganzen Körper und öffnet mehrmals den Mund mit einem schrecklichen saugenden Laut, als ob er keine Luft bekäme.
    »Ja«, sagt er atemlos.
    Der Inder läßt die Augenlider zur Hälfte sinken, und Chrestopoulos kommt wieder zu Atem, in sein Gesicht kehrt ein wenig Farbe zurück. Gleichzeitig sackt sein Körper wie ein Wrack in sich zusammen.
    »Ich habe mich nicht gerührt«, lamentiert er leise wie ein zur Rede gestelltes Kind. »Ich habe nicht einmal den kleinen Finger bewegt.«
    »Das weiß ich«, sagt der Inder, während er übergangslos wieder seinen ironischen Ton anschlägt und seine unbeteiligteMiene aufsetzt. »Ich mußte Ihrem Angriff zuvorkommen – den ich mir übrigens nicht erklären kann«, fügt er fragend hinzu. »Sie waren nicht bedroht, Mr. Chrestopoulos. Ich habe nicht gesagt, daß ich Sie als das erste Opfer bestimmen würde.«
    Chrestopoulos schluckt und feuchtet unter seinem dichten schwarzen Schnurrbart seine Lippen an. »Mir liegt sehr viel an meinen Ringen«, sagt er wie abwesend.
    Alle Blicke – nicht nur die des Inders – richten sich auf seine Hände. Chrestopoulos trägt tatsächlich an der linken Hand einen Ring mit einem großen schwarzen Stein und einen riesigen goldenen Siegelring sowie am kleinen Finger der rechten Hand einen zweiten, weniger massiven Siegelring mit einem Diamanten, wie mir scheint. Hinzu kommen eine Goldkette mit Erkennungsmarke am rechten Handgelenk und die goldene Armbanduhr am linken Handgelenk – beide Schmuckstücke von größtem Kaliber.
    Der Inder lacht kurz auf.
    »Die menschliche Gattung erfüllt mich mit Staunen«, sagt er in seinem
high-class- Englisch
. »Ist es nicht absurd, Mr. Chrestopoulos, daß Sie zu einem solchen Risiko bereit sind, um diesen Schund zu retten, während Sie sich passiv verhielten, als es um Ihr Leben ging?«
    Chrestopoulos reagiert nicht. Nur als der Inder seinen Schmuck als »Schund« bezeichnet, verzieht er unmerklich den Mund. In diesem Augenblick höre ich Blavatski zu meiner Rechten schnaufen, als ob er in Atemnot wäre; da ich jedoch seine Erregbarkeit kenne, messe ich dem keine Bedeutung bei.
    »Wir werden folgendermaßen verfahren«, sagt der Inder, ohne den Revolver auf seine Knie zurückzulegen. (Er hält ihn wie aus Unachtsamkeit auf Blavatski gerichtet.) »Ich gehe reihum hinter Ihnen vorbei, und erst wenn Sie den Lauf meiner Waffe im Nacken spüren – wohlgemerkt, nicht eher! –, legen Sie Ihre Opfergabe in die Tasche, die ich Ihnen hinhalte. Während dieses Vorgangs wird meine Assistentin auf jeden schießen, der unnötig seine Hände bewegt.«
    Unter dem Bann des Inders stehend, habe ich seine furchterregende Begleiterin vergessen. In ihren Sari gehüllt, steht sie hinter dem Sessel der Stewardess und beobachtet uns, ohne mit der Wimper zu zucken, unbeweglich und statuenhaft, mit jener Allgegenwart des Blicks, die mir bereits aufgefallen war. Sieverändert ihre Position um keinen Zentimeter. Man könnte sie für eine steinerne Gestalt halten – das Gesicht für

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