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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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verschwindet in der Pantry. Im Hinausgehen wirft sie Blavatski einen besorgten Blick zu, als fürchtete sie, daß er in ihrer Abwesenheit mit dem Verhör beginnen könnte. Aber auch Blavatski hat es nicht mehr so eilig – vielleicht aus denselben Gründen wie wir alle. Wie verärgert über unsere Abfuhr (er, von dessen Haut die Kugeln abprallen), hat er sich bequem in seinen Sessel zurückgelehnt, die kräftigen kurzen Beine von sich gestreckt, die Augen zugemacht und stellt sich schlafend, mit seiner Pose die Verachtung bekundend, die er für uns empfindet. Als die Stewardess ihren Platz wieder einnimmt, erfaßt sie die Situation mit einem Blick; munter und ein wenig im Tonfall einer Erzieherin im Kindergarten, anstelle des »Sie« das viel beruhigendere »wir« verwendend, sagt sie mit sanfter Autorität: »Wollen wir jetzt die Nachtbeleuchtung einschalten und schlafen?«
    Gewiß, ich und wir alle spüren, daß sie in diesem Augenblick die Rolle spielt, die sie von Anfang an übernommen hat: Sie »beruhigt« die Passagiere. Und wenn sie die Enthüllungen der Murzec nicht völlig umgehen kann, schiebt sie sie wenigstens hinaus. Niemand bricht das Schweigen, weil es auf unserer stillschweigenden Übereinkunft beruht. Ich sehe Blavatski an: ob verärgert oder eingeschlafen, er rührt sich nicht.
    Da ergreift die Murzec das Wort. Ihre breiten Wangen haben wieder eine gelbliche Färbung angenommen, ihre Lippen zittern nicht mehr. Zuerst glaube ich, daß sie das Bedürfnis des Kreises nach Vergessen spürt und sich angelegen sein läßt, es durch wiedererwachte Hinterhältigkeit und Boshaftigkeit zu stören. Aber nein, die Wahrheit ist viel einfacher. Ich lese es deutlich in ihren blauen Augen: die Murzec hat sich eine Aufgabe gestellt und unterwirft sich ihr wie stets kompromißlos.
    »Monsieur Blavatski«, sagt sie vernehmlich, »da ich jetzt wieder etwas zu Kräften gekommen bin, will ich gerne und nach bestem Vermögen auf Ihre Fragen antworten.«
     
    »Ja«, sagt Blavatski, aufgeschreckt wie ein Pferd, das sich nach einem Peitschenhieb auf die Kruppe instinktiv wieder in Trab setzt, aber noch nicht richtig wach. »Gut«, wiederholt er und richtet sich mühselig in seinem Sessel auf, »gut, Madame, wenn Sie sich in der Lage fühlen zu antworten, könnten wir vielleicht …«
    »Ja, Monsieur.«
    Schweigen.
    »Erste Frage«, fährt Blavatski schwunglos fort, »sind Sie vor oder nach den Indern aus dem Flugzeug gestiegen?«
    »Soviel ich mitgekriegt habe«, sagt die Murzec, »bin ich weder vor noch nach ihnen ausgestiegen.«
    Blavatski ist sofort munter.
    »Madame!« sagt er schneidend. »Wollen Sie uns vielleicht erzählen, daß die Inder im Flugzeug geblieben sind?«
    Der Kreis erstarrt. Blicke werden gewechselt.
    »Aber nicht im geringsten«, antwortet die Murzec. »Ich habe sie später vor mir gehen und sich von der Chartermaschine entfernen sehen. Aber in dem Moment, als ich die Treppe betrat, war ich allein. Dessen bin ich sicher.«
    »Wie können Sie so sicher sein?« fragt Blavatski mit einemRückfall in seinen anklägerischen Ton. »Es war dunkle Nacht!«
    »Ja, aber sonst hätte ich ihre Schritte auf den Metallstufen gehört, so wie ich meine hörte.«
    »Moment«, sagt Blavatski, »fangen wir von vorne an. Die Chartermaschine landet, das Licht geht aus, der Inder, der hinter Sergius steht, richtet eine Taschenlampe auf Chrestopoulos, der mit einem Messer in der Hand dasteht, und wo sind Sie in diesem Augenblick, Madame Murzec?«
    »Ich gehe auf den Exit zu.«
    »Wo ist die Inderin?«
    »Rechts neben dem Vorhang zur Bordküche, sie hält den Revolver auf Chrestopoulos gerichtet.«
    »Was geschieht dann?«
    »Jemand, ich glaube die Stewardess, öffnet den Exit.«
    »Ja, ich«, sagt die Stewardess.
    »Und als der Exit offen war, sind Sie hinausgegangen?«
    »Nein, eben nicht«, sagt die Murzec. »Der Inder sprach, ich wollte hören, was er sagte.«
    »In der Tat«, sagt Blavatski grollend. »Er sprach. Ich erinnere mich an diese komische Rede.«
    »Sie war nicht komisch«, sagt Robbie gereizt. »Sie haben wenig Phantasie, Blavatski.«
    »Macht nichts«, entgegnet Blavatski mit verächtlicher Geste. »Madame Murzec, haben Sie diese Tirade (er setzt Tirade in Anführungszeichen) bis zum Schluß gehört?«
    »Ja, ich erinnere mich sogar an seine letzten Worte: So lang das Leben euch erscheinen mag, der Tod ist ewig.«
    »Stimmt«, sagt Robbie. »Das waren wirklich die letzten Worte des Inders. Übrigens ist das

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