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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Blick. »Mich hat ein Gefühl des Entsetzens gepackt.«
    Wieder Schweigen, und ich erwarte, daß Blavatski in Anbetrachtder allgemeinen Stimmung erneut über das Entsetzen hinweggehen wird. Zu meinem großen Erstaunen tut er es aber nicht.
    »Das ist schließlich völlig normal«, sagt er mit herablassender Leutseligkeit, die nicht echt zu klingen scheint. »Es war finstere Nacht, Sie zitterten vor Kälte und wußten nicht, wo Sie waren!«
    Die Murzec hebt den Kopf und richtet auf Blavatski ihre blauen Augen, deren Blick sogar in der neuen Version ihrer Persönlichkeit schwer zu ertragen ist.
    »Nein, Monsieur«, sagt sie deutlich. »Das ist nicht normal. Ich bin kein ängstliches schwaches Weib. Ich fürchte mich weder vor Kälte noch vor der Nacht. Und irgendwo wäre ich schon angekommen.«
    Blavatski schweigt, offensichtlich wenig geneigt, der Murzec auf ihrem Weg zu folgen.
    »Worauf führen Sie dieses Gefühl des Entsetzens zurück?« fragt Robbie mit ernster Stimme.
    Die Murzec sieht ihn mit einer Dankbarkeit an, die ich bei einer solchen Frau rührend finde. Ich habe den Eindruck, daß alles, was sie in der Einsamkeit erlebt hat, zu schrecklich war, als daß sie bei dem Gedanken, sich mitteilen zu können, nicht erleichtert wäre. Und sie öffnet bereits den Mund, als Blavatski ihr brutal das Wort abschneidet.
    »Die Gefühle sind nicht so wichtig! Kommen wir zu den Tatsachen!«
    »Wenn Sie gestatten«, sagt die Murzec mit kalter Würde, »werde ich zunächst auf die mir gestellte Frage antworten.«
    Blavatski schweigt. Jedenfalls kann er die Murzec nicht so ausfragen, wie er die Stewardess verhört hat.
    »Das ist schwer zu erklären«, sagt die Murzec und wendet sich liebevoll Robbie zu. (Mir fällt ein, daß sie ihn vorher einen »halben Mann« genannt hatte.) »Ich weiß nicht, ich fühlte mich zurückgestoßen.«
    »Körperlich?« fragt Robbie.
    »Auch körperlich. Als ich die Inder in etwa zehn Meter Entfernung vor mir gesehen habe, wollte ich laufen, um sie einzuholen. Es war schrecklich. Wissen Sie, man hat dieses Gefühl manchmal bei Alpträumen: man stürzt los, man hebt die Beine und kommt nicht von der Stelle, obwohl einem das Herz vorAnstrengung hämmert. Das war meine Empfindung. Eine fürchterliche Kraft stieß mich zurück.«
    »Der Wind«, sagt Blavatski mit höhnischem Lachen.
    »Nein, ich hatte den Wind im Rücken.«
    Die Murzec schweigt vor Enttäuschung, daß sie ihre schreckliche Erfahrung nur in so verschwommenen und wenig dramatischen Begriffen zu schildern vermag.
    »Sie haben zweimal das Wort Entsetzen verwendet«, fährt Robbie fort. »Welchen Unterschied machen Sie zwischen
Entsetzen
und
Angst

    »Die Angst«, sagt die Murzec, »ist etwas, wogegen man kämpfen kann; das Entsetzen bemächtigt sich des Menschen.«
    »Hat es sich Ihrer mit einem Schlag oder nach und nach bemächtigt?«
    »Es hat mich gepackt, als ich den Fuß auf den Boden setzte, aber seinen Paroxysmus hat es erst später erreicht.«
    Robbie schüttelt ratlos den Kopf. Mit seinen hellbraunen Augen, munter und leuchtend wie Wassertröpfchen, sieht er die Murzec an. Von seiner Manieriertheit, seinen Gebärden und Verrenkungen kommt er nicht los, aber er verliert nicht das Wesentliche aus den Augen: der Murzec helfen, in klare Worte zu kleiden, was sie erlebt hat.
    »Können Sie uns sagen, in welchem Augenblick Ihr Entsetzen seinen Paroxysmus erreicht hat?«
    »Als die Inder verschwunden sind …«
    »Verschwunden?« fragt Blavatski sarkastisch.
    »Ich bitte Sie, Blavatski, lassen Sie Madame Murzec sprechen«, sagt Robbie ungehalten.
    Aber die Murzec schweigt betreten.
    »Also, Sie wollten die Inder einholen, sind aber nicht von der Stelle gekommen«, fährt Robbie fort. »Im Dunkeln sahen Sie, wie sich ihre Umrisse schwarz im Schein der Taschenlampe abzeichneten. Sie konnten deutlich den Turban des Inders und die Kunstledertasche in seiner Hand erkennen, sagten Sie. Ist das alles, was Sie gesehen haben?«
    »Nein«, sagt die Murzec. Die Lippen zusammengepreßt und den Kopf nach vorn geneigt, wendet sie ihre ganze Kraft auf, um sich zu konzentrieren. »In einem bestimmten Moment«, fährt sie fort, »hat der Inder die Taschenlampe nach rechts geschwenkt, und ich habe Wasser gesehen.«
    »Eine Pfütze?«
    »Nein, nein«, sagt die Murzec, »viel größer: ein See.«
    »Ein See auf einem Flughafen!« höhnt Blavatski.
    »So schweigen Sie doch endlich, Blavatski!« ruft Robbie mit schriller Stimme. »Sie bringen alles

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