Madrapour - Merle, R: Madrapour
durcheinander! Sie hindern Madame Murzec, sich zu erinnern! Man könnte meinen, Sie tun es absichtlich!«
Blavatski packt die Seitenlehnen seines Sessels und sagt mit schneidender Stimme: »Madame Murzec hat ein kurzes Gedächtnis, wenn sie schon nicht mehr weiß, was vor einer Stunde geschehen ist!«
»Und was ist daran so erstaunlich?« entgegnet Robbie heftig. »Sie stand unter dem Eindruck eines wahnsinnigen Entsetzens.«
Blavatski breitet die Arme aus.
»Aber ein See auf einem Flughafen! Neben einer Landepiste! Wer soll das glauben?«
»Eine Piste?« fragt die Murzec in das folgende Schweigen hinein mit sanfter Stimme. »Meinen Sie eine Betonpiste? Da war aber keine Piste, Monsieur Blavatski. Der Boden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt, unter der man gelegentlich Steine spürte.«
»Das erklärt die Heftigkeit der Landung!« sagt Robbie triumphierend.
Niemand im Kreis öffnet den Mund, nicht einmal Blavatski. Unerklärlicherweise ist mir die Kehle wie zugeschnürt.
»Noch einmal«, sagt Robbie. »Der Inder läßt zu seiner Rechten den Schein der Taschenlampe über eine Wasserfläche gleiten, See oder Teich, egal, und gleich danach verschwinden er und seine Begleiterin.«
»Nein, nein«, sagt die Murzec. »Zwischen dem Augenblick, als der Inder den See anstrahlte, und dem Augenblick, wo ich ihn nicht mehr gesehen habe, ist etwas Wichtiges, Bedeutungsvolles passiert …«
»Und was?« fragt Robbie.
Wir hängen alle an den Lippen der Murzec, doch ihre Antwort enttäuscht uns.
»Ich vermag nicht zu sagen, was es war«, sagt sie schließlich mit angstvoller Stimme und fährt sich mit den Händen über die Wangen. »An dieser Stelle ist in meinem Gedächtnis ein Loch.Das ist alles weg, weil mein Entsetzen so groß war, als die Inder sich verflüchtigt haben.«
»Ach! weil sie sich ›verflüchtigt‹ haben!« sagt Blavatski sarkastisch. »Wie die Teufel! Wie die Engel! Wie die Gespenster!«
»Blavatski, Ihre Polizeimanieren sind widerwärtig«, schreit Robbie wütend.
»Aber sie beweisen wenigstens, daß ich ein Mann bin«, sagt Blavatski.
Robbies Augen funkeln, aber er schweigt.
»Meine Herren«, sagt Caramans, »diese persönlichen Bemerkungen sind absolut fehl am Platze.«
»Ich sage ›verflüchtigt‹, aber gewiß ist das ein subjektiver Eindruck«, fährt die Murzec mit gleichförmiger Stimme fort, an Robbie gewandt. »Vielleicht hat der Inder einfach nur die Taschenlampe ausgemacht? Jedenfalls habe ich die beiden nicht mehr gesehen.«
Wir sind uns alle dessen bewußt, Blavatski inbegriffen, daß nichts dem Bericht der Murzec mehr Glaubwürdigkeit verleihen könnte als der Charakter dieser Bemerkung und der vernünftige Ton, in dem die Murzec gesprochen hat.
»Und in diesem Augenblick hat Ihr Entsetzen seinen Paroxysmus erreicht?« fragt Robbie.
»Ja.«
Ihre Lippen zittern, aber sie setzt dem nichts hinzu.
»Können Sie diesen Paroxysmus beschreiben?«
Blavatski wirft die Arme hoch.
»Diese ganze Psychologie bringt uns nicht weiter! Wir sind nicht hier, um Seelenzustände zu analysieren! Kommen wir zu den Fakten!«
»Aber Seelenzustände sind auch Fakten«, sagt Caramans, der sich vielleicht bemüßigt fühlt, die »Seelenzustände« zu verteidigen, weil »Seele« darin vorkommt.
Die Murzec scheint diesen Wortwechsel nicht gehört zu haben.
»Ich hatte das Gefühl«, fährt sie leise fort, »daß ich von etwas Gräßlichem bedroht wurde. Zuerst brachte ich keinen Ton heraus, war wie gelähmt, dann habe ich zu schreien begonnen und bin geflohen.«
»In welche Richtung?« fragt Blavatski. »Da Sie doch nicht von der Stelle kamen …«
»Ich glaube, ich bin im Kreis gelaufen. Ich war in heller Panik. Ich wußte nicht, was ich tat. Ich fiel in den Staub, bin aufgestanden, fiel wieder hin. Bis ich eine Stufe unter meinen Füßen spürte und begriffen habe, daß es das Flugzeug war; dort bin ich hochgestiegen und habe Zuflucht gesucht. Aber es war nicht die Treppe am Exit. Es war die Lukentreppe am Heck.«
»Die Luke am Heck!« ruft Blavatski aus. »War sie denn offen?«
»Ja, sie war offen«, sagt die Stewardess. »Wahrscheinlich hatte der Inder sie geöffnet.«
»Und woher wissen Sie das?« fragt Blavatski.
»Weil ich sie wieder zugemacht habe. Ich habe schon zweimal versucht, es Ihnen zu sagen, aber Sie hatten nicht die Geduld, mich anzuhören.«
»Sie haben sie wieder zugemacht? Aber dann müssen Sie doch Madame Murzec in der Touristenklasse haben sitzen sehen?«
»Nein,
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