Madrapour - Merle, R: Madrapour
sonst so diskret ist, hält er mich wie irgendein Pacaud zurück.
»In der Touristenklasse herrscht eine unerklärliche Kälte«, sagt er mit hochgezogenen Brauen, als wunderte er sich, daß ein französisches Flugzeug einen Mangel aufweisen könnte. »Blavatski meint, daß die Luke zum Frachtraum nicht richtig schließt. Er will versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Es ist ja seine Spezialität, den Dingen auf den Grund zu gehen«, fügt er mit feinem Lächeln hinzu.
Ich lächle entsprechend zurück, sage aber nichts. Ich ahne schon, daß ein Dialog mit Caramans nur zu einem Monolog werden kann. Und er nimmt den Faden tatsächlich wieder auf.
»Was halten Sie davon? Die Befragung dieser bedauernswerten Frau hat nichts sonderlich Aufschlußreiches ergeben. Ich habe heute früh mit Blavatski darüber gesprochen. Offen gesagt, dieser ›Paroxysmus‹ des Entsetzens, diese ›feindlichen Kräfte‹, die sie ›zurückstoßen‹ … ich frage mich, ob man das für bare Münze nehmen kann. Diese arme Frau hat vielleicht etwas Schaden gelitten. Wenn jemand unterwegs ein Flugzeug verläßt, ohne sich um sein Gepäck zu kümmern, hat man schließlich allen Grund, nach dem Geisteszustand des Betreffenden zu fragen.«
»Man«, das sind ohne Zweifel alle Leute auf der weitenWelt, die die Dinge mit dem gesunden cartesianischen Verstand eines Caramans sehen, und nach seiner ruhigen Gewißheit zu schließen, müssen sie sehr zahlreich sein. Ich antworte wiederum nur mit einem ausweichenden Lächeln, da ich keine Lust habe, mit leerem Magen und voller Blase eine Diskussion zu führen.
»Aber ich halte Sie auf, verzeihen Sie«, sagt Caramans mit hochgezogener Lippe und mit um so betonterer Höflichkeit, als diese sich recht spät einstellt.
Es ist kein leichtes Nachdenken, wenn man sich die Haut mit einem elektrischen Rasierapparat kratzt, noch dazu in der winzigen Toilette eines Flugzeugs, wo ich kaum aufrecht stehen kann. Trotzdem scheint mir, daß Caramans ins Schwarze getroffen hat. Letzten Endes war unser moralischer Druck auf den Sündenbock nicht so stark, daß er sich ihm nicht hätte widersetzen können, und die Reise unterbrechen, an einem unbekannten Ort aussteigen und die Koffer im Flugzeug zurücklassen war schon ein ziemlich seltsames Verhalten seitens der Murzec.
Nichtsdestoweniger ist ihr Bericht weder absurd noch zusammenhanglos, sosehr Blavatski sich Mühe gegeben hat, ihn unglaubwürdig zu machen. Die Murzec hatte schließlich recht, als sie sagte, die Inder seien weder vor noch nach ihr die Treppe hinuntergegangen. Unrecht hatte Blavatski mit seinem höhnischen »Zwei mal zwei ist nicht mehr vier!« usw.
Es gibt eine bestimmte Art von polizeilichen Verhören, von denen man sagen könnte, daß ihr Ziel darin besteht, die Wahrheit
nicht
herauszufinden. Oh, ich weiß, die feindlichen Kräfte, die die Murzec überfallen haben, das Laufen auf der Stelle, das Entsetzen, das sie packt: Das alles ist schwer zu glauben, und in einer normalen Welt gliche das mehr einem Traum als einem wirklichen Erlebnis. Aber die Umstände dieses Fluges sind nun einmal nicht normal – ich hoffe das ohne Pessimismus sagen zu können –, und wenn eine Frau, die nicht im geringsten den Eindruck macht, irre zu reden, in aller Ruhe sagt: Ich habe diesen Alptraum durchlebt! was dann davon halten? Das ist ein Punkt, wo uns das durchsichtige »man« von Caramans überhaupt nicht weiterhilft.
Als ich mit meinem Reisenecessaire unter dem Arm von der Toilette zurückkomme, angenehm erfrischt, obwohl ich mitWasser gespart habe (im Flugzeug gehorche ich immer diesem Reflex), sehe ich zu meiner großen Überraschung Blavatskis Kopf aus dem Boden des Mittelganges auftauchen. Ich sage auftauchen, müßte aber eigentlich untertauchen sagen, denn das tut er, als ich näher komme. Bald sehe ich nur noch die Spitze des Hutes, den er seltsamerweise auf dem Kopf trägt.
»Blavatski!« schreie ich.
Der Kopf und ein Teil der Schultern kommen wieder zum Vorschein. Blavatski hat seinen Mantel an.
»Ruhe, Sergius«, sagt er leise. »Machen Sie nicht die Stewardess aufmerksam. Sie ist in der Pantry beschäftigt, und ich nutze die Gelegenheit, um den Frachtraum zu untersuchen. Ich muß da was herausfinden.«
»Aber Sie haben nicht das Recht …«
»Ich nehme es mir«, sagt Blavatski schroff. »Im übrigen war die Luke im Boden schlecht verschlossen. Daher kam die Kälte in der Touristenklasse.«
Er hat im Mittelgang den Läufer
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